Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
Heftigkeit und Intensität in sich aufsteigen, die ihn überraschte. Er wollte, dass Bonifàcio gelogen und sein Gesicht nicht wirklich gesehen hatte. Vielleicht bluffte der Junge. Wollte er ihn dazu bringen, seine Kapuze zurückzuziehen?
»Du willst mein Gesicht sehen?« Aus seiner Scham wurde Zorn. In seiner Stimme schwang eine Drohung mit, die Bonifàcio aber nicht hörte. Der Junge nickte aufgeregt.
»Was, wenn du dich so erschreckst, dass du auf der Stelle weglaufen möchtest?«
»Das will ich nicht«, versicherte Bonifàcio, und nun wusste der Jesuit, dass der Junge ihn gerade angeschwindelt hatte. Er hatte sein Gesicht nicht gesehen und nur die Unwahrheit gesagt, um seine Neugier zu befriedigen. Denn würde der Schwachkopf die offenen Narben kennen, das Loch an der Stelle, wo andere Menschen eine Nase hatten, würde er das Gesicht kein zweites Mal sehen wollen. Der Junge war schlauer, als er gedacht hatte. Und seine eigene Wut größer.
»Dann komm näher«, zischte der Jesuit. Plötzlich verspürte er das dringende Bedürfnis, den Jungen zu schockieren. Bonifàcio sollte die Narben sehen und dann schreiend davonlaufen.
Der Junge klatschte aus Vorfreude in seine zu kleinen Hände.
Am liebsten hätte der Jesuit auf sie eingeprügelt, um das Klatschen zu unterbinden. Trotz der List, die ihm eben gelungen war, war Bonifàcio ein Tölpel, ein Schwachsinniger, ein Dummkopf. Eine Missgeburt Gottes.
Ohne weitere Vorwarnung schlug der Jesuit seine Kapuze zurück und schloss die Augen. Trotz seines Ärgers wollte er Bonifàcios Entsetzen nicht sehen.
Schweigend wartete er auf das scharfe Einziehen von Luft, auf einen unterdrückten Aufschrei, auf lautes Quietschen, aber nichts dergleichen passierte.
Der Jesuit blinzelte vorsichtig. Aber der Junge schien völlig unbeeindruckt. Neugierig lehnte er sich zu ihm und drohte dabei vom Pferd zu kippen. Seine kleine Hand suchte die fingerlose des Jesuiten. Unfähig, der Berührung auszuweichen, verharrte der Jesuit in seiner Haltung.
»Tut das Gesicht weh?«, fragte Bonifàcio besorgt. Genau wie damals auf dem Schiff, als er die fingerlose Hand zum ersten Mal erblickt hatte.
»Wie bitte?«, fragte der Mönch überrascht. Wo blieb der Ekel, wo der Ausdruck des Entsetzens?
»Habt Ihr Schmerzen?«, wollte Bonifàcio wissen.
»Nicht mehr«, sagte der Mönch etwas verunsichert.
»Das ist gut so«, meinte Bonifàcio erleichtert.
»Du hast mich angelogen und das Gesicht zuvor nicht gesehen.«
Bonifàcio grinste verschmitzt und nickte.
»Warum wolltest du mein Gesicht sehen?« Es gelang dem Jesuiten nicht, verärgert zu klingen.
Bonifàcio zuckte mit den Schultern: »Es muss doch schrecklich sein, wenn man immer eine Kapuze trägt.«
Ein leichter Windhauch streifte die Narben, wie ein sanftes Streicheln. Der Jesuit fühlte sich nackt, ungeschützt, aber auch seltsam befreit. Nach all den Jahren der Vermummung war es eine Erleichterung, wieder die Sonne und den Wind zu spüren. Seine Haut prickelte, auch an jenen Stellen, die beinahe taub und gefühllos waren.
»Ich hatte recht«, sagte Bonifàcio triumphierend. »Ich will nicht weglaufen und muss bei Euch bleiben und Euch beschützen.«
Langsam schüttelte der Jesuit den Kopf. Er wusste, dass es nun noch schwieriger werden würde, den Jungen in Barinas zurückzulassen. Aber er musste es tun, denn der Junge gefährdete seinen Auftrag, und mit jedem Tag, den er mit dem seltsamen Schwachkopf verbrachte, rückte seine Vergangenheit gefährlich nahe an ihn heran.
Apurito,
März 1619
Nachdem sie die Gastfreundschaft der Waraos zwei Wochen lang in Anspruch genommen hatten, reisten sie weiter, voll beladen mit Proviant und ausgestattet mit Kräutern und Säften gegen die lästigen Insekten. In Conrads Reisesack befanden sich außerdem Medikamente gegen Entzündungen, Wurmbefall, Magenschmerzen und vieles mehr. Trotz übelriechender Tinkturen war der beste Schutz gegen die winzigen Plagegeister Kleidung, die den ganzen Körper bedeckte. Conrad rätselte immer noch, warum die Waraos nackt durch den Urwald laufen konnten, ohne von den Moskitos attackiert zu werden, während er selbst, Assante und auch Tica nur mit einer dicken Schicht Kräuteröl auf der Haut überlebten. Es würde eines der vielen Rätsel bleiben, auf die er in den letzten Wochen gestoßen war. Weitere Seltsamkeiten waren die Tiere in diesem Land. Nie zuvor hatte Conrad Kreaturen gesehen, die so absonderlich und fremd waren.
Vor ihrer Abreise hatte der
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