Der Fluch des Verächters - Covenant 01
denen er baumelte, waren stark genug, um jeden Widerstand zu brechen. Er verstand nicht, wie ihm so etwas passieren konnte. War sein Todeswunsch, waren der Überdruß und die Verzweiflung seines Leprakrankentums so übermächtig? Was war aus seinem abgehärteten Lebenserhaltungstrieb geworden? Wo waren sein Zorn, seine Heftigkeit geblieben? Hatte er so lange Opfer sein müssen, daß er nun außerstande war, etwas anderes zu sein als Opfer, sogar vor sich selbst? Er wußte darauf keine Antwort. In nichts war er sich noch sicher, außer hinsichtlich der Furcht, die ihn packte, als das Aufgebot um die Mittagszeit zu einer Rast hielt. Er bemerkte, daß er alles andere als Lust zum Absteigen von Duras Rücken hatte. Er mißtraute dem Erdboden, ihm graute davor, ihn zu betreten. Ihm war eine Überzeugung grundsätzlicher Natur abhanden gekommen: Die Annahme, daß der Untergrund fest sei – eine Unterstellung von so offenkundiger und unverrückbarer Notwendigkeit, daß er sich bislang nie bewußt damit befaßt hatte –, war erschüttert worden. Blindes, stummes Erdreich hatte sich in eine finstere Klaue verwandelt, die boshaft nach ihm grapschte, nach ihm allein. Nichtsdestotrotz schwang er sich aus dem Sattel, zwang sich dazu – und erhielt prompt seine Abreibung, sobald sein Fuß den Erdboden berührte. Die Gehässigkeit der Empfindung versetzte alle seine Nerven in Zuckungen, und er vermochte es kaum auf den Beinen auszuhalten, während er zusah, wie Prothall, Mhoram und Birinair zu erfassen versuchten, was er gespürt hatte. Aber jeder Erfolg blieb ihnen versagt; die Krankhaftigkeit dieser üblen Berührung verschwand in dem Moment, da er davor zurücksprang.
Am Abend suchte das Übel ihn während des Essens wieder heim. Als er sich auf seinem Lager ausstreckte, um seinen Ring vorm Mond zu verstecken, schlotterte er wie im Fieber.
Am Morgen des sechsten Tages erhob er sich mit grauem Gesicht und kränklichem Ausdruck in den Augen. Noch ehe er Dura bestieg, erhielt er einen weiteren Schlag. Bei jeder Verschnaufpause, die das Aufgebot im Laufe des Tages einlegte, erging es ihm ebenso. Und als er am Ende des Tagesritts schließlich genug Verzweiflung aufbrachte, um abzusteigen, nochmals. Er empfand das Übel wie einen weiteren Nagel zu seinem Sarg. Diesmal reagierten seine Nerven so heftig, daß er wie in einer Darbietung von Sinnlosigkeit auf den Erdboden niedertaumelte. Für einen ausgedehnten Moment mußte er reglos daliegen, bevor er seine Arme und Beine wieder in die Gewalt bekam, und als er sich endlich wieder auf den Beinen befand, zuckte er und wand sich bei jedem Schritt.
Trauriger Anblick , schalt er mit sich. Trauriger Anblick. Aber es fehlte ihm an Groll, um sich dagegen aufzubäumen. Mit tiefer Besorgnis in den Augen fragte Schaumfolger ihn, warum er die Stiefel nicht einfach auszöge. Covenant mußte einen Augenblick lang nachdenken, bevor er sich auf den Grund besann. »Sie sind ein Teil von mir«, krächzte er. »Sie sind ein Bestandteil der Art und Weise, wie ich zu leben habe. Es gibt nicht ... nicht noch viele solcher Bestandteile.« Schwächlich fügte er eine Ergänzung hinzu. »Wie sollte Prothall sich denn weiter mit ihrer Ergründung befassen können, wenn diese Anfälle nicht länger aufträten?«
»So etwas brauchst du nicht für uns zu tun«, entgegnete Mhoram eindringlich. »Wie könnten wir derlei von dir verlangen?« Doch Covenant hob bloß die Schultern und setzte sich ans Lagerfeuer.
An diesem Abend mochte er nichts essen – schon der Gedanke ans Essen bereitete ihm ein Schwindelgefühl –, aber er versuchte sich mit ein paar Aliantha -Beeren von einem Strauch in der Nähe des Lagerplatzes, und nach ihrem Verzehr stellte er fest, daß sie eine beruhigende Wirkung auf ihn ausübten. Er aß eine Handvoll der Beeren, warf die Kerne rundum beiseite, wie er es von Lena gelernt hatte, und kehrte zurück ans Lagerfeuer.
Als das Aufgebot seine abendliche Mahlzeit beendete, setzte sich Mhoram zu Covenant. »Wie vermögen wir dir zu helfen?« fragte der Lord, ohne ihn anzusehen. »Sollen wir eine Bahre bauen, so daß du die Erde nicht zu berühren brauchst? Oder gibt's andere Möglichkeiten? Vielleicht vermöchte eine von Schaumfolgers Geschichten deinem Herzen Linderung zu verschaffen. Ich habe Riesen prahlen hören, selbst der Verächter müsse sich in einen Erdfreund verwandeln, könne man ihn dazu bewegen, der Geschichte von Bahgoon dem Ungezogenen und Thelma Zweifaust zu lauschen,
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