Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Morschheit ihrer Knochen wahrnehmen. Aber im ganzen Aufgebot blickten sie allein der nächsten Nacht gelassen entgegen – entweder gelassen oder aus Unverständnis der Situation.
Die Reiter lagerten vorm Anbruch der Dämmerung am Nordhang eines zerklüfteten Hügels, nur zum Teil geschützt vor dem hauptsächlich südwestlichen Wind. Die Luft war kühl geworden, als wolle der Winter noch einmal wiederkehren, und die Brise wehte die Kälte bis in die Herzen der Männer. Wortlos rieben einige Krieger die Pferde ab und fütterten sie, während andere auf einem Feuer, das Birinair mit einem seiner Lillianrill -Hölzer sowie ein wenig Reisig entfachte, ein bescheidenes Mahl zubereiteten. Die Ranyhyn galoppierten gemeinsam davon, um den Abend in irgendeinem Spiel oder geheimen Ritus zu verbringen, wogegen die Pferde angekoppelt zurückblieben und die Bluthüter Wache standen; der Rest hüllte sich in die Mäntel und drängte sich ums Feuer. Als auch der letzte Schimmer von Sonnenlicht aus der Luft wich, verstärkte sich die Brise zu einem gleichmäßigen, kräftigen Wind.
Covenant merkte plötzlich, daß er sich nach der Kameradschaftlichkeit sehnte, in welcher sie den Tag begonnen hatten. Aber er allein konnte den Mangel nicht beheben; er mußte warten, bis Hoch-Lord Prothall sich erhob, um der allgemeinen Spannung entgegenzuwirken. Indem er seinen Stab fest auf den Untergrund setzte, stimmte er Schwelgensteins Abendgebetshymne an. Mhoram fiel sofort in sein Singen ein, gefolgt von Variol und Tamarantha, und bald stand das ganze Fähnlein auf den Beinen, erhöhte die Lautstärke des Gesangs mit vielkehliger Stimmgewalt. Da standen sie unter dem düsteren Himmel, die fünfundzwanzig Seelen, und sangen, wie um Zeugnis zu geben:
»Für Ungetreue sieben Höllen,
Die Land und Menschen verraten wöllen:
Und ein kühner Lord wider das Verderben,
Daß nicht Übelschwämme aufs Schöne abfärben.«
Sie erhoben ihre Stimmen ziemlich forsch für diese Umstände, und der dröhnende Tenor, in dem Schaumfolger seinen Kantus sang, kontrapunktierte ihre Melodie. Als sie geendet hatten, nahmen alle wieder Platz und fingen mit gedämpften Stimmen sich zu unterhalten an, als hätte es nur dieser Hymne bedurft, um den Mut wiederherzustellen. Covenant saß ruhig und betrachtete seine ineinander verklammerten Hände. Ohne seinen Blick von ihnen zu wenden, merkte er es, als der Mond aufging; er spürte die allgemeine Erstarrung, die sich abzeichnete, sobald am Horizont der erste karminrote Schimmer auftauchte. Aber er nagte auf seinen Lippen und schaute nicht hin. Seine Begleiter atmeten gepreßter; langsam vertiefte ein roter Glanz die Glut des Lagerfeuers; aber er heftete den Blick auf seine Hände, als sei es die interessanteste Tätigkeit der Welt, zu beobachten, wie seine Knöchel weiß hervortraten. Dann hörte er Lord Mhoram gequält »Melenkurion!« flüstern und wußte, daß der Mond nicht nur voll war, sondern auch völlig rot, als wäre seine Beschmutzung erst jetzt vollendet – so blutrot, als sei dem Nachthimmel ins Herz gestochen worden. Er bemerkte, wie der Mondschein auf sein Gesicht fiel, und aus Abscheu zuckte seine Wange. Im nächsten Moment erscholl aus der Ferne wie ein Protestschrei ein Heulen. Es erfüllte die Luft mit Schwingungen der Trostlosigkeit. Wider Willen schaute Covenant über die rötlich verfärbte Ebene aus; im ersten Augenblick rechnete er damit, man werde aufspringen, um eilends Hilfe zu leisten. Aber niemand regte sich; der Schrei mußte von irgendeinem Tier gekommen sein. Er widmete dem restlos verunstalteten Mond einen kurzen Blick, wechselte dann den Griff seiner Hände und senkte die Augen wieder. Als er seine Finger sah, erkannte er voller Entsetzen, daß der Mondschein seinem Ring eine rötliche Färbung verlieh. Das Metall wirkte, als sei es in Blut getaucht worden. Der silberne Schimmer schien darum zu ringen, weiterhin nach außen dringen zu können, doch schien sich das Blutlicht immer tiefer einzufressen, das Weißgold langsam zu durchtränken, es zu zersetzen. Covenant begriff zuerst nur instinktiv. Für einen unsicheren Herzschlag lang blieb er reglos sitzen, brüllte seinem arglosen Ich wortlos vergebliche Warnungen zu. Dann sprang er auf die Füße, stand urplötzlich hoch aufgerichtet und starr, als habe der Mond ihn emporgerissen, die Arme steif an seinen Seiten, die Hände zu Fäusten geballt. »Keine Sorge, Ur-Lord«, sagte hinter ihm Bannor. »Die Ranyhyn werden uns
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