Der Fluch des Verächters - Covenant 01
daher, die Covenant nicht verstehen konnte – einer so alten Sprache, daß sie ergraut und ehrwürdig klang. Prothall sang leise, irgendwie mit persönlicher Note, als knüpfte er mit dem Warnwort ein privates Gespräch an. Nach und nach, in verwaschener Allmählichkeit, wie heraufziehender Nebel, zeigte sich das Warnwort allen Mitgliedern des Aufgebots. Gegenüber von Prothalls Handfläche entstand ein verschwommener Flecken Rot, verschmolzen mit dem Glitzern in der Luft ringsum, als sei er ein Fragment eines ansonsten unsichtbaren Wandteppichs. Das fahle Rot, das vor Prothall inmitten der Luft schwebte, dehnte sich aus, bis sich vor seiner Hand ein großer, unregelmäßiger roter Kreis mit ihr als Mittelpunkt befand. Mit außerordentlicher Vorsicht – unter unaufhörlichem Singen – reckte er seinen Arm dann seitwärts, um seine Ausdehnung nach den Seiten festzustellen. Auf diese Weise schälte sich vor den Augen der Truppe langsam das Hindernis heraus, vor dem sie stand. Und während Covenant sich wieder näher an die schwarze Grube seines erstarrten Grimms schob, verblich seine eigene Wahrnehmung des Warnworts, bis er davon nur noch soviel sah wie die anderen auch.
Endlich senkte Prothall die Hand, sein Gesang verstummte. Die Bruchstücke verblaßten. In verkrampfter Haltung kehrte er über die Brücke zurück, als bliebe er nur durch die reine Kraft seiner Entschlossenheit aufrecht. Sein Blick jedoch zeugte von Einsichten und dem Abwägen von Gefahren.
»Ein Warnwort«, gab er ernst bekannt, »durch die Macht, die dem Stab des Gesetzes innewohnt, hier angelegt, um Seibrich davon zu unterrichten, wenn jemand seine Abwehr durchdringen sollte – und um bei der ersten Berührung die Schrathöhlenbrücke zu zertrümmern.« Seinem Ton haftete etwas von einem Sturz in den Abgrund an. »Es ist ein Werk großer Kraft. Seit der Schändung hat kein Lord so etwas zustande gebracht. Und besäßen wir nun auch die Macht, um es auszulöschen, nichts wäre gewonnen, denn Seibrich wäre sofort gewarnt. Dennoch sehe ich eine Kleinigkeit zu unseren Gunsten. Ein solches Warnwort kann nicht ohne ständige Aufmerksamkeit beibehalten werden. Es bedarf der Nachsorge, sonst verfällt es – das geschieht allerdings nicht so schnell, daß wir nun darauf warten könnten. Die Tatsache, daß Seibrich hier Urböse als Wachen aufgestellt hat, ist womöglich ein Anzeichen dafür, daß er sich mit anderen Dingen beschäftigt.« Wundervoll! murrte Covenant zynisch. Prachtvoll! Seine Hände juckten ihm vom heftigen Verlangen, irgend jemandes Hals umzudrehen. »Falls Seibrichs Augen uns abgewandt sind«, erläuterte Prothall weiter, »mag's sein, daß wir das Warnwort beugen können, ohne es zu brechen.« Er atmete tief ein. »Ich glaube, daß es sich bewerkstelligen läßt«, versicherte er. »Dies Warnwort ist nicht so pur und gefahrvoll, wie es eigentlich sein könnte.« Er wandte sich an Covenant. »Aber ich sorge mich wegen dir, Ur-Lord.«
»Wegen mir? « Covenant reagierte, als habe der Hoch-Lord gegen ihn eine Anschuldigung erhoben. »Wieso?«
»Ich sorge mich, daß die bloße Nähe deines Rings zum Warnwort es hinfällig machen könnte. Deshalb mußt du als letzter gehen. Und selbst dann kann's sich noch ergeben, daß wir in den Katakomben abgeschnitten werden, ohne eine Brücke, über die wir wieder ins Freie zu gelangen vermöchten.«
Als letzter? Er malte sich unvermittelt aus, hier zurückgelassen oder festgesetzt zu sein, durch diese tiefe Kluft von dem Fluchtweg getrennt, den er benötigte. Ich kann es schaffen, jeder kann es . Aber er sah die Dümmlichkeit dieser Argumentation ein. Langmut , ermahnte er sich. Denk an den Handel. »Macht endlich voran«, krächzte er; seine Furcht verlieh seiner Stimme Bitterkeit. »Demnächst wird man wohl mal eine Wachablösung schicken.« Prothall nickte. Mit einem letzten abschätzigen Blick auf Covenant wandte er sich ab. Er und Mhoram betraten die Brücke, um sich mit dem Warnwort zu befassen. Tuvor und Terrel schlossen sich ihnen an, beladen mit langen Strängen aus Clingor , die sie um die Hüften der beiden Lords anbrachten und am Fuß der Brücke befestigten. Auf diese Weise vor einem Einsturz des Brückenbogens geschützt, stiegen Prothall und Mhoram langsam und vorsichtig hinauf zum höchsten Punkt der Brücke, bis sie auf Armlänge vor dem unsichtbaren Warnwort standen. Dort knieten sie zusammen nieder und begannen gemeinsam mit dem Lied. Als der bodenwärtige Teil des Warnworts
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