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Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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gab keine Antwort. Er lag reglos, nur von dem Wunsch beseelt, sich so lange in sein lebendes Kissen drücken zu dürfen wie möglich. Das Kribbeln in seinen Handflächen schien dazu zu drängen, Lena zu umarmen; er lag still und genoß das Begehren, fragte sich, ob er genug Mut aufbringen könne. Da begann sie wieder zu singen. Die Melodie klang in seinen Ohren irgendwie vertraut, und dahinter hörte er das Ratschen dunkler Schwingen. Auf einmal erkannte er, daß sie sehr der Melodie von ›Goldjunge‹ ähnelte. Er war den Bürgersteig entlang zur Verwaltung der Telefongesellschaft gegangen, der Bell Telephone Company – der Name stand in blattgoldenen Buchstaben an der Tür –, um seine Telefonrechnung persönlich zu bezahlen. Er fuhr aus Lenas Schoß hoch und sprang auf die Füße. Ein Nebel von Gewaltneigung trübte sein Blickfeld.
    »Was ist das für ein Lied?« fragte er schwerfällig.
    »Gar keines«, antwortete Lena überrascht. »Ich war gerade erst dabei, eine Weise zu ersinnen. Ist etwas falsch?«
    Der Tonfall ihrer Stimme brachte ihn zur Besinnung – sie klang angesichts seines übereilten Ärgers so kleinmütig, so kummervoll. Er fand zunächst keine Worte; der Nebel vor seinen Augen verflog. Dazu habe ich kein Recht , dachte er. Ich habe dazu kein Recht, mich an ihr abzureagieren. Er streckte die Hände aus und half ihr auf die Füße. Er versuchte zu lächeln, aber sein teilweise versteiftes Gesicht brachte nur eine Grimasse zustande. »Wohin gehen wir jetzt?«
    Langsam wich der Kummer aus ihrer Miene. »Du bist sonderbar, Thomas Covenant«, sagte sie.
    »Ich wußte selbst nicht«, antwortete er schiefmäulig, »daß es mit mir so schlimm steht.«
    Einen Moment lang standen sie sich gegenüber und schauten einander in die Augen. Dann verblüffte sie ihn, indem sie errötete und ihm ihre Hände entzog. »Wir gehen nun ins Steinhausen«, sagte sie mit einer neuen Art von Erregung in ihrer Stimme. »Du wirst meine Mutter und meinen Vater in Erstaunen versetzen.« Munter drehte sie sich um und eilte voran durch das kleine Tal.
    Sie war geschmeidig, leichtfüßig und anmutig, wie sie ihm voranlief, und Covenant sah ihr nach, in Gedanken bei den seltsamen neuen Empfindungen, die sich in ihm regten. Er hatte das unvermutete Gefühl, daß dies Land ihm irgendeinen Zauber bieten könne, der seine Impotenz behob, irgendeine Art von Wiedergeburt, an die er sich in der Erinnerung klammern mochte, sobald er wieder zu Bewußtsein gekommen war, wenn das Land mit allen seinen verrückten Implikationen im Chaos von Träumen verschwunden war, an die er sich nur noch halb entsann. Für diese Hoffnung war es nicht erforderlich, daß das Land real war, physikalische Wirklichkeit, unabhängig von seinen unbewußten, unkontrollierten Traumgebilden existent. Nein, Leprose war eine unheilbare Krankheit, und falls er nicht an den Folgen des Verkehrsunfalls starb, mußte er mit dieser Tatsache leben. Aber gewisse Handikaps konnten manchmal durch einen Traum geheilt werden. So etwas konnte bisweilen möglich sein. Als er sich Lena anschloß, geschah es mit einem bestimmten Schwung in seinen Schritten und Eifer in den Adern. Die Sonne war mittlerweile am Himmel tief genug gesunken, um die untere Hälfte des kleinen Tals in Schatten zu tauchen. Er sah voraus Lena ihm zuwinken und folgte ihr dem Verlauf des Bachs nach, genoß beim Gehen die Nachgiebigkeit der Gräser unter seinen Füßen. Irgendwie fühlte er sich größer als vorher, als habe die Heilerde noch weitere Wirkungen auf ihn ausgeübt, nicht nur seine Kratzwunden und Abschürfungen geheilt. Als er Lena einholte, schien ihm einiges an ihr zum erstenmal aufzufallen: die Zierlichkeit ihrer Ohren, wenn das Haar hinter die Ohrmuscheln wehte; die Art, wie der weiche Stoff ihres Gewandes ihre Brüste und Hüften umschmiegte; ihre schlanke Taille. Ihr Anblick verstärkte das Kribbeln in seinen Handflächen. Sie lächelte ihm zu und führte ihn dann am Bach entlang aus dem kleinen Tal. Sie strebten einen sehr schmalen Pfad zwischen steilen Felswänden hinab, die immer höher aufragten, bis der kärgliche Ausschnitt, den sie vom Himmel sehen konnten, sich etliche Dutzend Meter über ihnen befand. Der Pfad war steinig, und Covenant mußte seine Füße ständig im Augenmerk behalten, um im Gleichgewicht zu bleiben. Die Umständlichkeit ließ den Weg lang erscheinen, doch schon nach einigen hundert Metern kamen Lena und er an eine Felsspalte, die im rechten Winkel zum Bach

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