Der Fluch des Verächters - Covenant 01
steinernen Platte ein schwerer Topf aus Granit, halb so hoch wie ein erwachsener Mensch. Und vor dem Topf, den Blick eindringlich auf den Inhalt geheftet, stand ein hünenhafter Mann, eine säulenhafte Gestalt, wuchtig wie ein Felsklotz. Er wandte Lena und Covenant den Rücken zu und hatte ihre Ankunft allem Anschein zufolge nicht zur Kenntnis genommen. Er trug eine kurze braune Bluse und darunter eine braune Hose, aber in die Schultern seiner Bluse war das gleiche weiße Blumenmuster gewoben wie in Lenas Kleid. Unter der Bluse sah man seine gewaltigen Muskeln sich anspannen und wölben, während er den Topf drehte. Das Gefäß wirkte ungeheuer schwer, aber Covenant wäre nicht verwundert gewesen, hätte der Mann es bis über seinen Kopf emporgestemmt, um den Inhalt auszukippen. Über dem Topf schwebte ein Schatten, den das Licht, das den Mittelraum erleuchtete, irgendwie nicht zu durchdringen imstande war; für eine Zeitlang starrte der Mann in diese Trübung, unterzog sie einer ausgiebigen Begutachtung, während er den Topf immerzu drehte. Dann begann er plötzlich zu singen. Seine Stimme klang zu leise, als daß Covenant die Worte verstehen konnte, aber er spürte, während er lauschte, einen Ton von Beschwörung, als berge der Inhalt des Topfes eine besondere Art von Macht. Einen Moment lang geschah nichts. Dann fing der Schatten überm Topf sich zu verflüchtigen an. Zuerst dachte Covenant, das Licht im Raum habe sich verändert, doch da sah er, wie sich im Topf eine neue Quelle von Helligkeit bildete. Das Leuchten aus dem Topf breitete sich aus und nahm stetig an Stärke zu, bis es am Ende so hell erstrahlte, daß die übrigen Lichter im Raum dagegen düster wirkten.
Mit einer letzten gemurmelten Äußerung straffte sich der Mann über seinem Werk und wandte sich um. In der verstärkten Helligkeit erregte er einen noch hünenhafteren, wuchtigeren Eindruck als vorher, so als ob seine Gliedmaßen und Schultern sowie sein gewaltiger Brustkorb dem Licht Substanz und Kraft entzögen; und seine Stirn war durch die Hitze aus dem granitenen Topf gerötet. Beim Anblick Covenants durchfuhr ihn ein Ruck der Überraschung. In seine Augen stahl sich ein Ausdruck von Unbehagen, und seine Rechte zupfte an seinem dichten rötlichen Bart. Dann streckte er die Hand Covenant entgegen, so daß die Handfläche nach vorn zeigte. »So, Tochter, du bringst einen Gast«, sagte er zu Lena. »Doch entsinne ich mich daran, daß heute du die Verantwortung für unsere Gastfreundschaft trägst.«
Die seltsame Macht, welche man eben noch aus seiner Stimme gehört hatte, war daraus gewichen. Ohne sie klang seine Stimme wie die eines Menschen, der wenig mit Leuten sprach. Aber obwohl er mit seiner Tochter streng war, blieb er dabei vollkommen gelassen. »Wie du weißt, habe ich für den heutigen Tag die Fertigstellung neuer Glutsteine verheißen, und deine Mutter Atiaran hilft bei der Entbindung Odonas, dem Weibe Murrins. Dein Gast wird angesichts unserer Gastfreundschaft gekränkt von hinnen ziehen, da kein Mahl bereitsteht, um damit den Tag genüßlich zu beschließen.« Doch während er Lena schalt, musterte sein Blick aufmerksam Covenant.
Lena senkte den Kopf und versuchte – nur ihrem Vater zuliebe, wie Covenant überzeugt war –, beschämt dreinzuschauen; gleich darauf jedoch eilte sie durch den langgestreckten Raum und drückte sich an den Hünen. Er lächelte ihr sanftmütig ins emporgewandte Gesicht.
»Trell, mein Vater«, verkündete sie dann, indem sie sich nach Covenant umdrehte, »ich bringe einen Fremden ins Steinhausen. Ich bin ihm auf dem Kevinsblick begegnet.« In ihren Augen funkelte ein lebhafter Glanz, obwohl sie sich bemühte, in ruhigem Tonfall zu reden.
»So, einen Fremden«, sagte darauf Trell. »Nun, das sehe ich. Und ich frage mich, was ihn an jenen verrufenen Ort gebracht hat.«
»Er kämpfte mit einer grauen Wolke«, berichtete Lena.
Covenant erwartete, der rauhbeinige, rüstige Mann, dem er hier gegenüberstand, dessen Arme, obwohl sie nur so von Muskelpaketen strotzten, mit so sanfter Festigkeit auf den Schultern seiner Tochter ruhten, werde auf diese absurde Mitteilung in Gelächter ausbrechen – da sollte ein Mann mit einer Wolke gekämpft haben! Trells Gegenwart wirkte so unverrückbar mit beiden Beinen auf der Erde und standfest, als sei er eine Manifestation des gesunden Menschenverstandes zu dem Zweck, den Alptraum von Lord Foul auf die angemessene Unwirklichkeit herunterzuspielen. Infolgedessen
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