Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Reifealter, ich nähme ihn nicht zum Mann. Oh, er ist auf seine Art ein tüchtiger Mann – hervorragender Viehzüchter, unerschrocken bei der Verteidigung seiner Herde. Und er ist größer als die meisten Männer. Doch zu viele Wunder gibt's auf der Welt, zuviel Wissen zu erwerben, zuviel Schönheit mit anderen zu teilen und auch zu schaffen ... und vor allem habe ich noch nicht die Ranyhyn gesehen. Ich möchte keinen Viehzüchter zum Gemahl, der zum Weibe nichts anderes als eine Suru-pa-maerl wünscht. Lieber wollte ich die Schule der Lehre besuchen, wie es meine Mutter Atiaran tat, und ich würde bleiben und nicht nachlassen in meinem Streben, ganz gleich, welche Prüfungen die Lehrwarte mir auferlegen, bis ich ein Lord wäre. Man sagt, daß es so etwas geben könnte. Hältst du es für möglich?«
Covenant hörte ihr kaum zu. Er versuchte, seine Erregung durchs Umherschreiten im Sand abzureagieren, aufgewühlt vom Groll, ausgehöhlt durch unerwünschte Erinnerungen an Joan. Im Vergleich zu seiner verlorenen Liebe waren Lena und die silberne Nacht überm Lande ohne Bedeutung. Die ganze Hohlheit seines Traums war seinem inneren Auge plötzlich sichtbar geworden, eine Wildnis ohne Schleier, eine neue geistige Verwüstung als Ausdruck der Isolation und Hoffnungslosigkeit des Lepraleidenden. Dies war keine Wirklichkeit – es war eine Folter, die er selbst sich im Unterbewußtsein auferlegte, eine unfreiwillige Revolte gegen Krankheit und Verlust. Ist es das Ausgestoßensein , stöhnte er insgeheim, was das verursacht? Ist der Schock der Aussonderung so stark? Hölle und Verdammung! Ich brauche nicht länger irgend jemanden. Er spürte, daß er kurz davor stand, laut zu schreien. In einer neuen Anstrengung, sich in der Gewalt zu behalten, setzte er sich mit dem Rücken zu Lena in den Sand und zog die Knie so fest an den Leib, wie er es fertigbrachte. »Wie heiratet man bei euch?« erkundigte er sich ungeachtet der Brüchigkeit seiner Stimme.
»Das ist eine einfache Sache«, antwortete sie in unbefangenem Tonfall, »sobald ein Mann und eine Frau erst einmal einander erwählt haben. Wenn die beiden Freunde geworden sind und sich zu vermählen wünschen, unterrichten sie davon den Kreis der Ältesten. Die Ältesten setzen eine Jahreszeit zur Frist, um darin sicherzugehen, daß der beiden Menschen Freundschaft gefestigt ist, daß es zwischen ihnen keine verborgenen Eifersüchte oder uneingelösten Versprechen gibt, die in späteren Jahren ihr Zusammenleben belasten könnten. Dann versammeln sich die Steinhausener auf dem Platz, und die Ältesten nehmen das Paar in die Mitte und fragen es: ›Wollt ihr das Leben miteinander teilen, in Freude und Kummer, Arbeit und Rast, Friede und Unfriede, um das Land zu erneuern?‹ Und die zwei erwidern: ›Leben an Leben wollen wir den Dienst an der Erde und ihren Segen miteinander teilen.‹« Einen Moment lang schwieg ihre Stimme unterm Sternenschein andächtig. »›So ist es wohlgetan‹, rufen die Steinhausener gemeinsam«, erzählte sie danach weiter. »›Laßt Leben und Freude und Kraft sein, solange die Jahre währen!‹ Daraufhin verbringt man den Tag mit allgemeinen Vergnügungen, die Jungvermählten lehren die Leute neue Spiele, Tänze und Lieder, so daß das Glück des ganzen Steinhausens erneuert wird, im Lande Geselligkeit und Frohsinn nicht aussterben.« Wieder legte sie eine kurze Pause ein. »Die Vermählung meiner Mutter Atiaran mit meinem Vater Trell geschah an einem Tag des Stolzes. Die Ältesten, die uns unterrichten, haben oft von diesem Tag gesprochen. Während der Jahreszeit der Gnade klomm Trell täglich in die Berge, suchte vergessene Pfade und entlegene Höhlen, verborgene Fälle und neue Felsspalten nach einem Orkrest -Stein ab, denn in jener Zeit herrschte in den Südlandebenen Dürre, und der Steinhausener Leben drohte durch die allgemeine Knappheit zu schwinden. Dann, am Vorabend der Vermählung, fand er die gesuchte Kostbarkeit – einen Brocken Orkrest , kleiner als eine Faust. Und am Freudentag, nach dem Vollzug des Zeremoniells, retteten er und meine Mutter Atiaran das Steinhausen. Derweil sie ein inbrünstiges Gebet an die Erde sang – ein an der Schule der Lehre wohlbekanntes Lied, das bei uns jedoch längst vergessen ist –, hielt er den Orkrest in seiner Hand und zerbrach ihn am Ende mit der Kraft seiner bloßen Finger. Als der Stein zerfiel, rollte zwischen den Bergen Donner, obwohl man keine Wolke sah, und aus den Resten in seiner Hand fuhr
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