Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
Vom Netzwerk:
kann nicht verharren. Was geschieht mit mir?
    Auf einmal hörte er Schritte näher kommen. Er richtete sich hastig auf und sah Lena herbeieilen. Das Pendeln ihres Leuchtgefäßes warf, während sie sich bewegte, irrwitzige Schatten über ihre Erscheinung. Nach einigen weiteren Schritten verlangsamte sie ihren Gang, dann blieb sie stehen und hob das Leuchtgefäß an, um ihn besser erkennen zu können. »Thomas Covenant?« fragte sie unsicher. »Bist du nicht wohlauf?«
    »Nein«, fuhr er sie an, »ich bin nicht wohlauf. Nichts ist noch in Ordnung, nichts war in Ordnung seit der ...« – für einen Moment hing ihm das Wort in der Kehle fest – »... der Scheidung.« Er starrte sie an und nahm ihr damit sofort allen Mut, zu fragen, was eine Scheidung sei.
    Die Art, wie sie das Licht hielt, beließ ihr Gesicht im Dunkeln; er konnte nicht feststellen, wie sie auf seinen Ausbruch reagierte. Aber anscheinend leitete sie irgendeine besondere innere Feinfühligkeit. Als sie erneut den Mund öffnete, ging sie weder mit unhöflichen Fragen noch plumpen Mitleidsäußerungen auf seine Qualen ein. »Ich kenne nahebei einen Ort«, sagte sie leise, »wo du allein sein kannst.«
    Er nickte nachdrücklich. Ja! Er spürte, daß seine überlasteten Nerven bald zusammenbrechen mußten. Seine Kehle war eng von angestauter Gewalt. Er wollte nicht, daß irgend jemand sah, was mit ihm vorging. Lena nahm ihn behutsam am Arm und führte ihn aus dem Steinhausen zum Fluß. Sobald sie unterm schwachen Sternenschein die Ufer des Mithil erreichten, wandten sie sich flußabwärts. Nach fast einem Kilometer Fußweg kamen sie an eine alte steinerne Brücke, die von einem schwarzen, irgendwie feuchten Widerschein glänzte, als habe sie sich eben erst aus dem Wasser erhoben, extra zu Covenants Gebrauch. Die Zudringlichkeit dieses Einfalls ließ ihn anhalten. Er betrachtete die Brücke auf einmal als eine Art von Schwelle; neue Krisen lauerten in den düsteren Hügeln jenseits des anderen Flußufers.
    »Wohin gehen wir?« fragte er unfreundlich kurz. Er befürchtete, er werde sich selbst, wenn er diese Brücke erst einmal überquert hatte, nicht wiedererkennen.
    »Ans andere Ufer«, erwiderte Lena. »Dort kannst du völlig allein und ungestört sein. Leute von uns überqueren den Mithil selten – man sagt, in den westlichen Bergen sei's nicht geheuer, daß das Übel vom Unheilswinkel ihren Geist entartet hat. Doch ich habe das westliche Tal durchwandert, auf Steinerkundung für ein Suru-pa-maerl -Bildnis, und bin keiner Widrigkeit begegnet. In der Nähe gibt's einen Flecken, dort wird dich niemand behelligen.«
    Trotz all ihres Anscheins von Alter besaß die Brücke für Covenants Begriffe ein wenig vertrauenswürdiges Aussehen. Die Fugen, die keinen Mörtel aufwiesen, wirkten unzuverlässig, wie nur von den schwachen, trügerischen Schatten zusammengehalten, die der Sternenschein erzeugte. Als er die Brücke betrat, rechnete er damit, sein Fuß werde ausgleiten, die Steine würden zu wanken beginnen. Aber der Brückenbogen stand unverrückbar. Am erhöhten Mittelpunkt des Brückenbogens verharrte er, um über den niedrigen Seitenwall der Brücke und hinab auf den Fluß zu starren. Drunten floß das Wasser schwärzlich dahin, murmelte sein langes Gebet um Erlösung im Meer. Und er starrte es an, als erflehe er von ihm Mut. Konnte er nicht einfach die Dinge ignorieren, die ihm drohten, die widersinnigen Unmöglichkeiten und Verrücktheiten seiner Situation übersehen, ins Steinhausen zurückkehren und munter daherschwindeln, er sei der wiedergeborene Berek Halbhand? Er konnte es nicht. Er war leprakrank; für ihn gab es Lügen, die er sich nicht herausnehmen durfte. In urplötzlicher, anfallartiger Aufwallung von Übelkeit bemerkte er, daß er die Fäuste auf die steinerne Brüstung der Brücke hämmerte. Er riß seine Hände zurück und versuchte zu erkennen, ob er sich verletzt hatte, aber er vermochte im mangelhaften Sternenschein nichts dergleichen festzustellen. Er schnitt eine Grimasse und folgte Lena zum Westufer des Mithil.
    Bald darauf gelangten sie ans Ziel. Lena führte Covenant eine Strecke weit direkt nach Westen, dann einen steilen Hügel zur Rechten hinauf und durch einen schieferigen Hohlweg wieder zum Fluß. Sie suchten sich ihren Pfad durch den zerklüfteten Grund des Hohlwegs so vorsichtig wie auf dem schartigen Kiel eines ausgeschlachteten Schiffes; beiderseits von ihnen ragte der Rumpf auf, begrenzte ihr Blickfeld. Ein paar Bäume

Weitere Kostenlose Bücher