Der Fluch des Volkstribuns
berechnender Mann.
»Pompeius! Du bist heute nacht der einzige Mann in Rom, der diese Masse beruhigen kann. Ich habe mein Bestes getan, aber selbst ich habe sie noch nie so gesehen! Tu etwas, und zwar schnell!«
Pompeius ging ihm mit ausgestreckten Armen entgegen und legte seine Hände in einer Geste der Besorgnis und Beschwichtigung auf Clodius' Schultern; dann gingen sie gemeinsam die Treppe hinauf. Hinter ihnen ebbte der Lärm ein wenig ab, die Leute waren noch nicht ruhig, aber sie zögerten.
»Sichtschutz, bitte«, sagte Pompeius, und während Pompeius, Milo, Clodius, Cicero und Cato zu einer hastigen Planung des weiteren Vorgehens die Köpfe zusammensteckten, bildeten die anderen Senatoren einen Ring um sie. Es war erstaunlich, wie diese Männer, unter denen weit mehr Feindschaft als Freundschaft herrschte, ihre Animositäten augenblicklich vergessen und für das Gemeinwohl zusammen arbeiten konnten.
Ein weiterer Aspekt römischer Genialität, nehme ich an, die Fähigkeit zum politischen Kompromiß.
Nach kurzer Beratung löste sich der Kreis auf, und, abgeschirmt durch einige Senatoren, arbeiteten sich Clodius und Milo zum Rand der Treppe vor, während Pompeius und Cicero bis zur Mitte durchgingen. Cato stellte sich neben mich. »Was haben sie beschlossen?« fragte ich ihn. »Es ist ein Notbehelf«, sagte er, die Lippen grimmig aufeinandergepreßt, »aber vielleicht funktioniert es. Halte dich bereit vor zu treten, wenn dein Name aufgerufen wird.«
O nein, dachte ich, und mein Mut sank. Sie hatten mich eingeplant!
Pompeius betrat würdevoll die oberste Treppenstufe und hob, um Ruhe bittend, die Hände. Nach und nach erstarb das Geschrei, Getuschel verebbte zu Gemurmel, bis es nach einigen Minuten vollkommen still war. Selbst die Fackeln wurden weniger heftig geschwenkt, bis auch sie schließlich ganz ruhig waren, so daß das einzige Geräusch das nicht unangenehme Prasseln der Scheiterhaufen war. Clodius hatte recht gehabt: In jener Nacht konnte nur Gnaeus Pompeius Magnus einen solchen Mob beruhigen. Vielleicht hätte Caesar es auch geschafft, aber der war weit, weit weg.
»Bürger!« rief Pompeius mit seiner Kasernenhofstimme, die von den Gebäuden am anderen Ende des Forums widerhallte.
»Ein großer Fluch lastet auf uns! Die Götter haben uns den Frevel noch nicht vergeben, der vor fünf Tagen geschah, als mein Mitkonsul Marcus Licinius Crassus zu seiner prokonsularischen Provinz aufgebrochen ist.« Schlau formuliert, dachte ich. Was immer auch geschehen war, dies würde die Leute daran erinnern, daß Ateius sich sein Schicksal selbst zu zuschreiben hatte.
»Jetzt ist ein weiterer Frevel begangen worden!« fuhr Pompeius fort. »Ein Tribun des Volkes, Inhaber eines sakrosankten Amtes, ist schändlich ermordet worden. Wie alle Römer fürchte auch ich den Zorn der Götter! Jeder Streit muß ruhen, bis der Gerechtigkeit Genüge getan ist und wir wieder klar erkennen können, was die Götter von uns wollen!«
In dieser Art sprach er noch eine Weile von den Göttern und seiner großen Sorge, ohne die verschiedenen Fraktionen und den Aufstand auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen.
Es war eine brillante Vorstellung. Pompeius war kein besonders begnadeter Politiker, aber er wußte, wie man einen Appell an die Truppen richtete. Während er sprach, beobachtete ich, wie Clodius und Milo in einer dunklen Nische am unteren Rand der Treppe, vor neugierigen Blicken durch das alte Denkmal des Scipio Africanus geschützt, ihren Männern Anweisungen gaben, die sofort in der Menge untertauchten.
Als Pompeius eine kurze Pause einlegte, stellten sich Milo und Clodius neben ihn. Die drei berieten sich kurz flüsternd, und das Murmeln der Masse schwoll wieder an. Dann trat Pompeius vor.
»Bringt mir den Leichnam von Ateius Capito!«
Wieder kam Bewegung in den Mob. Irgendwo am Rand des Forums entstand ein Gedrängel, als sich ein gewaltiges Objekt über den Köpfen der Menge erhob und auf die Basilica zukam.
Es war ein gespenstischer Anblick, als die Menge mit ihren Fackeln sich teilte wie vor einem Schiff, das auf Gewässern jenseits dieser Welt segelt, und einen Moment ließ mich die eingebildete Ähnlichkeit zu Charons Fährboot, das die Seelen der Toten über den Styx bringt, erschaudern.
Dann erkannte ich, daß es eine Gruppe von Männern war, die eine auf einem provisorischen Katafalk aufgebahrte Leiche trugen: Auf einer Plattform aus Holz stand ein Sofa, das zweifelsohne aus einem Haus oder Laden
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