Der Fluch vom Valle della Luna
unversöhnlichen Tano im Präsidium entkommen zu sein.
Es schien fast, als hätte Basile sie erwartet. Einsam saß er hinter seinem Schreibtisch und erinnerte nur noch entfernt an den stolzen, zufriedenen Mann, den Nelly dort ein paar Wochen zuvor angetroffen hatte. Der jugendliche Elan war verpufft, seine einst so geraden Schultern waren nach vorn gesackt.
»Guten Tag, Dottoressa.«
»Guten Tag, Basile. Wie geht’s?«
Er breitete die Arme aus.
»Das sehen Sie ja. An Mandanten fehlt’s mir nicht, auch wenn im Moment nicht viel los ist. Aber ich bin nicht mehr auf dem Posten. Ich habe das Vertrauen in mich selbst verloren.«
»Und wieso? Wegen Filippo De Magistris? Das können Sie sich nicht vorwerfen. Wer hätte denn ahnen können, dass ...«
Basile schüttelte mutlos den Kopf.
»Nein, nein, es ist nicht so, wie Sie denken. Es ist nicht, weil sich herausgestellt hat, dass Filippo der Enkel von Panni Sogos ist und dass womöglich er für sämtliche Pisu-Verbrechen verantwortlich ist. Es ist nur, dass ich mich immer für einen guten Menschenkenner gehalten habe. Für diesen Jungen hätte ich meinen Hals auf den Hackklotz gelegt.« Dann wärst du jetzt einen Kopf kürzer, mein Lieber, dachte Nelly in einem Anflug von schwarzem Humor. »Und im Grunde meines Herzens«, fuhr Basile fort, »glaube ich immer noch nicht, dass Filippo hinter diesen Verbrechen steckt. Ich weiß schon«, er hob die Hand, um Nelly am Widersprechen zu hindern, »ich weiß schon: Alles passt zusammen, am Abend des Mordes an Alceo Pisu ist Filippo sogar in der Nähe der Piazza delle Erbe gesehen worden. Er war allein, niemand hat ihm ein Alibi gegeben. Und die Kleidungsstücke auf seinem Balkon waren vom Blut dieser Frau getränkt.«
Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass Nelly zusammenfuhr.
»Ich kann’s trotzdem einfach nicht glauben, verdammt. Nicht Filippo.«
Nelly ließ ihn gewähren.
»Lieber Brigadiere«, hob sie schließlich mitfühlend an, »ich verstehe Sie hundertprozentig. Das ist ungefähr so, als würde sich herausstellen, dass Valeria, meine rechte Hand im Büro, der ich blind vertraue, eine schäbige Mafia-Spionin ist und mehrere Verbrechen auf dem Kerbholz hat. Nicht auszudenken, meine ganze Welt würde in sich zusammenstürzen. Aber«, sie setzte eine Pause und hob die Stimme, um die Aufmerksamkeit des Mannes, der mit gesenktem Kopf und scheinbar abwesend vor ihr saß, wieder auf sich zu lenken, »aber man muss den Tatsachen ins Auge blicken. Das wissen Sie besser als ich. Statt zu erklären, was passiert ist, ist Filippo De Magistris einfach abgehauen. Und Marilena Pizzi ist unauffindbar. Was sollen wir also daraus schließen?«
Basile sah sie verstört an.
»Natürlich, aber es ist, als wäre ich schizophren. Jetzt kapiere ich, wie sich das anfühlen muss. Wie sich dieser arme Junge, Giancarlo Pisu, gefühlt haben muss, weil er zwischen Einbildung und Wirklichkeit nicht unterscheiden konnte. Die Vernunft sagt mir, Filippo ist schuldig, doch«, mit einer dramatischen Geste legte er die rechte Hand aufs Herz, »das Herz will es nicht glauben, das ist alles. Es muss am Alter liegen. Früher habe ich mich nie so sehr von einem Fall erschüttern lassen. Ich bin alt, Dottoressa, alt und vertrottelt. Ich sollte aufhören, Räuber und Gendarm zu spielen.«
Nelly dachte an Filippo, wie sie ihn am Tag der Beisetzung seines Altersgenossen Giancarlo gesehen hatte. Ruhig, freundlich, verlässlich. Ein anständiger Junge, der Jura studierte und der jobbte, um ein wenig mehr in der Tasche zu haben. Ein Ex-Carabiniere. Worüber hatten sie noch geredet? Ach ja ... Ruckartig hob Nelly den Kopf und sah den verdatterten Basile an.
»Brigadiere, würden sie Filippo gern in die Augen sehen und ihn fragen, ob er es getan hat und warum?«
»Lieber als alles in der Welt, Dottoressa. Aber wieso fragen Sie?«
Nelly war schon aufgesprungen und rief mit dem Handy im Präsidium an.
»Weil Sie vielleicht die Gelegenheit haben werden, es zu tun. Wenn wir Glück haben und ich mit meiner Vermutung richtigliege.«
III
Gerolamo saß neben Marco im Auto, das im Corso Andrea Podestà mit Blick auf den Eingang des Hauses parkte, in dem Familie Innocenti gewohnt hatte und in dem nun nur noch Gemma, Gioias Zwillingsschwester, allein mit ihren Erinnerungen lebte. Seit einem Tag wechselten sich die beiden mit Inspektor Amanda Sacco und dem Beamten Piccoli ab, um zu beobachten, wer kam und wer ging. Griesgrämig biss Marco in sein Stück
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