Der Fluch vom Valle della Luna
hineinzulachen.
»Wenn ich Sie hätte erwürgen wollen, wären Sie jetzt tot, Signora. Ich wollte nur, dass Sie keine Dummheiten machen. Ich konnte doch nicht ahnen, wer Sie sind.«
Er bekommt einen Hustenanfall, zieht ein kariertes Taschentuch hervor und hält es sich vor den Mund. Was für ein übler Husten. Und dieser klapprige Kerl hat mich derart gewürgt. Woher hatte der die Kraft?
»Jedenfalls wollte ich nur mit Ihnen reden.«
Er scheint sie nicht zu hören, in der Hand hält er ein Messer, das aus Tempio, das aussieht wie eine Rasierklinge, Nelly fährt zusammen.
»Wenn du artig bist, schneide ich dir eine Hand los, damit du deinen Kaffee trinken kannst.« Die Andeutung eines Lächelns huscht über den weißlichen Stoppelbart. Nelly rümpft die Nase.
»Keine Sorge, ich werde brav sein. Wäschst du dich eigentlich nie, Panni? Entschuldige die persönliche Frage, aber du stinkst wie ein Ziegenbock.«
Die Hand mit dem Messer verharrt in der Luft, und Nelly fürchtet, er könnte es sich noch einmal anders überlegen und ihr doch die Kehle statt der Handfessel durchschneiden. Sie sind zum Du übergegangen, Nelly vermutet, das Siezen ist Panni Sogos zu kompliziert. Doch sie irrt sich.
»Ich wasche mich selten, das ist richtig. Auch, weil ich bei den Tieren schlafe, ich mag das.« Er zögert, unsicher, ob er dieser Unbekannten so viel von sich preisgeben soll. »Ich kann die Menschen einfach nicht mehr ausstehen«, sagt er und durchtrennt behutsam das Seil um Nellys rechte Hand. »Die Tiere sind viel besser als die Menschen. Stinke ich denn wirklich so sehr? Ich merke das gar nicht mehr.«
Nelly muss lachen.
»Ja, du stinkst ganz schön. Aber sag mal, erträgst du die Menschen nicht mehr, weil Giacomo Pisu euch betrogen hat?«
Es ist raus, sie hat es abgefeuert und wartet auf die Reaktion. Ungerührt drückt der Mann ihr die Tasse in die Hand.
»Wie viel Zucker?«
Dieser kleine Kaffeeklatsch ist dermaßen absurd, dass Nelly kurz davor ist, in hysterisches Gelächter auszubrechen.
»Zwei Löffelchen, danke.«
Panni löffelt ihr sorgsam den Zucker in die Tasse und rührt um. Nelly überlegt kurz, dass sie ihm den heißen Kaffee ins Gesicht schütten und sich das Messer auf dem Tisch greifen könnte. Der gute Mann hat wirklich recht: Da soll man den Menschen noch trauen. Doch sie denkt nicht daran, etwas Derartiges zu unternehmen. Erstens ist sie viel zu scharf darauf, sich mit ihm zu unterhalten, und sie spürt, das es vielleicht klappen könnte. Dass der Mann vielleicht endlich bereit ist zu erzählen, was in jener Nacht vor vierzig Jahren wirklich passiert ist. Und zweitens will sie nicht als Schweinefutter enden, denn so schlecht beieinander der Mann auch zu sein scheint, er verfügt über ungeahnte Energien und ist schlau wie ein Fuchs.
Er hat sich an den Tisch gesetzt, trinkt seinen ungesüßten Kaffee und mustert sie wie ein seltenes Tier.
»Jetzt gibt’s bei den Bullen auch Frauen. Zu meiner Zeit war das anders. Ich hab seit Ewigkeiten nicht mehr mit einer Frau geredet.« Er neigt den Kopf zur Seite. Sein Atem geht mühsam.
»Du solltest zum Arzt gehen.«
Er zuckt die Achseln, seine Miene lässt keinen Zweifel daran, wie gleichgültig ihm seine Gesundheit ist.
»Dieser Junge, den ihr in den Knast gesteckt habt, dieser Filippo De Magistris, das ist mein Enkel? Der Sohn meiner Tochter Filomena? Ich hab gelesen, sie sei jung gestorben. Hat Drogen genommen.«
»Ja, Panni, das ist dein Enkel. Er wird beschuldigt, Marilena Pisu entführt und womöglich ermordet zu haben. Und vielleicht hat er ihren Bruder Alceo ebenfalls umgebracht, um sich für das zu rächen, was Giacomo Pisu eurer Familie angetan hat. Hältst du das für möglich?«
»Dann wäre er ein echter Dummkopf. Noch ein Sogos, der seine besten Jahre im Knast verbringt. Der sein Leben wegwirft, und für was? Für alte, längst vergangene Geschichten. Wenn ich mich an Giacomo hätte rächen wollen, hätte ich das längst getan. Als ich aus dem Gefängnis kam, war er noch am Leben. Doch ich ...« Wieder hat er einen Hustenanfall. »Ich will nicht im Knast sterben. Die Gerechtigkeit – das ogu malu , das meine Mutter ihm angehängt hat – hat sich der Pisus auch ohne mich angenommen.« Sein Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen. Nelly läuft ein kalter Schauer über den Rücken.
»Du gibst also zu, dass Giacomo Pisu in die Entführung von Annabelle Simon verwickelt war und euch betrogen hat.«
Nelly hält ihm die leere Kaffeetasse
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