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Der Fluch vom Valle della Luna

Der Fluch vom Valle della Luna

Titel: Der Fluch vom Valle della Luna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Cerrato
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mich inzwischen gewöhnt. Wieso fragst du? Sehe ich so mies aus oder was?«
    »Das nicht, aber du wirkst müde.«
    Inzwischen hatten sich die wartenden Gäste nach und nach auf die frei gewordenen Plätze verteilt, und eine junge, hübsche Kellnerin machte ihnen ein Zeichen, ihr zu folgen. In der Mitte des großen Gastraumes war ein Zweiertisch frei geworden. Sie nahmen Platz und studierten die Speisekarte. Stockfisch, klare Sache. Sie bestellten und nahmen einen offenen Weißen dazu.
    »Und, wie geht’s? Gibt’s in Alceos Fall irgendwas Neues?« Sandra beugte sich vor und blickte Nelly in die Augen.
    »Leider nein. Ach, übrigens, beim Lesen des ›Secolo‹ hab ich gesehen, dass jemand anderes über die Sache schreibt, nicht du.«
    Sandras Miene verfinsterte sich.
    »Nein, wie denn auch, ich habe das abgelehnt. Was sollten meine Cousins denken – oder inzwischen sollte ich vielleicht besser sagen, meine Cousinen –, wenn sie sähen, dass ich über sie schreibe? Und ich könnte nicht so bissig sein, wie ich will. Ich wäre nicht ich. Aber es fuchst mich trotzdem. Was für ein Fall, da leckt man sich doch alle zehn Finger nach ...«
    Die Kellnerin tauchte mit zwei dampfenden Tellern voll Stockfisch und Kartoffeln auf, und die beiden Freundinnen machten sich darüber her. Sie aßen schnell und in genussvollem Schweigen.
    »Sind die Pisus oft in ihr Heimatdorf zurückgefahren? In das Dorf in Sardinien, meine ich«, fragte Nelly schließlich.
    Sandra runzelte die Stirn.
    »In ihr Heimatdorf? Nach Luras? Keine Ahnung. Mir gegenüber haben sie nie etwas erwähnt.«
    »Deine Mutter und du, seid ihr je dort gewesen? Wie ist es da?«
    Sandra öffnete den Mund, ihr Blick wanderte grüblerisch umher und richtete sich wieder auf Nelly.
    »Nein, ich war da nie. Und soweit ich weiß, ist meine Mutter auch nie wieder hingefahren. Wir haben dort keine Verwandten mehr, und deshalb ... Verdammt, Nelly, glaubst du, die Vorfälle könnten mit irgendeiner alten Sache aus dem Dorf zu tun haben?«
    Nelly zuckte mit den Achseln und bestellte bei der Kellnerin zwei Kaffee.
    »Wie geht’s deiner Mutter, Sa? Was meinst du, könnte ich mit ihr reden?«
    »Es geht ihr ganz okay, aber sie ist nicht mehr dieselbe wie früher. Sie ist sehr vergesslich, vor allem, was die jüngere Vergangenheit anbelangt. Aber alles, was länger her ist, hat sie noch prima drauf. Die wird sich riesig freuen, dich zu sehen, wir können sie jederzeit besuchen gehen.«
    »Hast du gerade viel zu tun, oder könnten wir sofort hinfahren?«
    Sandra schien von der Idee nicht sonderlich begeistert zu sein, aber sie hatte auch nichts entgegenzusetzen, und so tranken sie ihren Kaffee aus, zahlten am Tresen und traten auf die Via Giustiniani hinaus. Eine Tramontana hatte sich erhoben und pfiff grimmig durch die allzu engen Gassen. Die Freundinnen klappten ihre Mantelkragen hoch und gingen zu Nellys Wagen.
     
    Das Altersheim befand sich in einem Neubau oberhalb Genuas, nicht weit von der Haltestelle der Righi-Standseilbahn entfernt. Von dort oben hatte man einen herrlichen Blick über das Meer, die Altstadt und den Hafen. Die Tramontana fegte die Reste grauer Wolken, die wie eine schwere Decke auf der Stadt gelastet hatten, vom eisig blauen Himmel. Selbst aus der Ferne ließ sich die stürmisch wogende See erahnen. Die beiden Frauen parkten neben dem Altersheim und hasteten zum Eingang. Unterdessen hatte sich Nelly an Signora Anna, Sandras Mutter, zurückerinnert. Sie hatte ihren Mann früh verloren und die einzige Tochter unter großen Opfern aufgezogen. Sie hatte eine Reinigung in der Altstadt betrieben, und Nelly sah sie noch vor sich, wie sie bügelnd vor den unaufhörlich brummenden Maschinen stand. Wenn die Mutter sonntags zu Hause war, war Nelly oft zu Gast gewesen. Ich weiß noch, dass sie wahnsinnig gut kochen konnte. Eine unermüdliche, stille kleine Frau. Seit wann habe ich sie nicht mehr gesehen? Es muss eine Ewigkeit her sein.
    Wie viele Dinge, Menschen, freundschaftliche Bande doch auf der Strecke blieben, dachte sie traurig. Das Leben riss einen mit sich fort und spülte einen schließlich wie Treibgut ans Ufer, und man wurde das ungute Gefühl nicht los, Chancen verpasst und Menschen, die einem wichtig waren, vernachlässigt zu haben. Zeit und Energie. Man bräuchte mindestens das Doppelte davon. Oder vielleicht eine zweite Chance, um alles besser zu machen. Die zweite Chance, die niemand von uns bekommt.
    »Ich habe deine Mutter noch nie hier besucht. Das

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