Der Fluch vom Valle della Luna
natürlich dagegen.«
»Das verstehe ich. Aber ich kann auch Ihren Mandanten verstehen. Vermutlich wissen Sie, was er mir sagen wollte.«
Die Anwältin bedachte sie mit einem leicht ironischen Blick.
»Und ob ich das weiß. Und ich fange an zu glauben, dass jemand sich Giancarlos Krankheit zunutze machen wollte, um ihm einen Mord anzuhängen, den er nicht begangen hat. Ich gehe davon aus, dass die betreffenden Informationen bei Ihnen ebenfalls in guten Händen sind, Dottoressa Rosso. Ich kenne Sie zwar kaum, aber ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
Ob Luca ihr von mir erzählt hat? Möglich. Diese geschwätzigen Kerle, von wegen, Frauen tratschen!
»Giancarlo scheint es besser zu gehen als letztes Mal.«
»Nicht wahr? Was halten Sie von den plötzlich wiederkehrenden Erinnerungen?«
»Gioias Anruf? War bereits bekannt.«
»Nein, dass er glaubt, sie sterbend vorgefunden zu haben.«
Nelly machte eine unbestimmte Handbewegung.
»Er glaubt sich zu erinnern, dass ... Es müsste schon ein bisschen konkreter sein, finden Sie nicht? Wie Sie bemerkt haben dürften, weiß selbst Ihr Mandant nicht, was er von seinem mentalen Zustand halten soll. Und das zu Recht.«
»Das ist mir klar. Aber dennoch, wenn es stimmte, dass er sie sterbend gefunden hat? Dann hätten wir einen frei herumlaufenden Mörder und einen armen, kranken Jungen im Knast. Ich bitte Sie ja nur, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen und die Ermittlungen nicht als vollkommen abgeschlossen zu betrachten. Für die Familie war das von Anfang an klar, sie können einfach nicht glauben, dass Giancarlo Gioia Innocenti ermordet hat, und haben einen Privatdetektiv engagiert, der Licht in die ganze Sache bringen soll. Was kann das Giancarlo schon schaden? Momentan scheint sein Schicksal sowieso besiegelt zu sein.«
»Wen haben sie denn beauftragt?«
Fiorenza zögerte kaum merklich.
»Die Mailänder Agentur untersteht einem tadellos beleumundeten Mann, der mir bereits in einigen Fällen geholfen hat. Er heißt Salvatore Mursia, ein ehemaliger Carabinieri-Hauptmann. Zusammen mit ein paar ehemaligen Kollegen hat er eine äußerst seriöse Detektei gegründet. Vor ein paar Monaten haben sie hier in der Altstadt eine kleine Dependance aufgemacht, in der Piazzetta Tavarone.«
Nelly überlegte, dass sie sich diese Agentur einmal ansehen würde. Im Blick der Anwältin lag eine seltsame Neugier. Es war keinerlei Feindseligkeit darin, eher der Wunsch, Nelly zu ergründen. Vielleicht fragte sie sich, was Luca an ihr gefunden haben mochte? Sie schenkte ihr ein offenes, fast herzliches Lächeln.
»Ein paar private Ermittlungen zusätzlich können nicht schaden. Auch wenn das an der Faktenlage leider nichts ändert. Es hat mich gefreut, Sie zu treffen, Avvocato, auf Wiedersehen«, verabschiedete sich Nelly. Sie war mit Sandra zu einem schnellen Mittagessen verabredet und wollte nicht zu spät kommen.
Pünktlich traf sie in ihrer gemeinsamen Lieblings- friggitoria an der Ecke der Via Giustiniani ein. Wie so oft gab es keinen freien Tisch, und sie musste am Tresen warten. Sie war nicht die Einzige, die, vom Anblick der herzhaften Kuchen auf dem Tresen und vom Essensduft hungrig geworden, darauf wartete, dass jemand einen Tisch frei machte. Gut gelaunt wie jedes Mal, wenn sie hierher zum Essen kam, stellte Nelly sich an. Das Sa Pesta war eine typische Genueser Friggitoria mit weiß und grün gekachelten Wänden. Der vordere Teil des Lokals war lang und schmal und ging in einen hinteren, geräumigeren Teil über. Einfache lange Holztische und hölzerne Stühle und Bänke unterstrichen den rustikalen Charakter. Während Nelly gierig eine Schale mit gefülltem Gemüse anstarrte, tippte ihr jemand auf den Arm, und Sandra stand lächelnd neben ihr.
»Ciao, Giraffe. Wartest du schon lange?«
»Mindestens eine Stunde, mein dickes Zwergpudelchen, ich schlage schon Wurzeln.«
Sie verfielen gern in den Slang ihrer frühen Freundschaft. Die Jahre waren wie weggeblasen, und sie wurden füreinander wieder zu den jungen Mädchen von damals, sorglos, unbeschwert und weit entfernt von den beiden abgeklärten Fortysomethings, die sie heute waren. Sandra trug einen lammfellgefütterten Mantel und war wie immer perfekt geschminkt, doch Nelly bemerkte die Augenringe, die sich durch das Make-up nicht kaschieren ließen.
»Du arbeitest zu viel, Sa. Wie viele Stunden schläfst du denn so?«
Seit Jahren litt Sandra unter Schlaflosigkeit.
»Im Schnitt vier, aber daran hab ich
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