Der Fluch vom Valle della Luna
dem Supercappuccino. Auf einem Tellerchen lag eine warme Scheibe Zwiebel-Focaccia. Gianni blickte noch trüber drein.
»Ja, aber wer will mich denn? Ich hab’s beruflich nicht so drauf wie Basile. Am Ende spiele ich noch den Babysitter für meine Tochter, die wieder arbeiten gehen will.« Leidender Hundeblick.
»Das ist doch toll, seinen Enkel zu genießen und der Tochter einen Gefallen zu tun. Männer, die sich um Kinder kümmern, werden heutzutage nicht mehr schief angeschaut, wissen Sie?«
Sie trank ihren Cappuccino und nickte ihm zum Abschied zu und ging mit der halben Focaccia in der Hand an den Tresen, um zu zahlen. Beppe hatte die Unterhaltung mit angehört und schielte mit einem vielsagenden Augenrollen zu dem Rentner hinüber.
»Sehr gut, Dottoressa, bauen Sie ihn ein bisschen auf. Seit Basile so viel zu tun hat, verpestet mir Gianni die Stimmung im Laden, der wird mir noch die Kunden vergraulen.« Er zwinkerte ihr grinsend zu. Nelly zwinkerte zurück und trat in den klammen, grauen Tag hinaus.
Valeria empfing sie mit einem Lächeln und einem frisch ausgedruckten Papierstoß voller Neuigkeiten. Sie freute sich wie immer, wenn sie einen guten Fund gemacht hatte.
»Dottoressa Rosso, ich habe einiges über die Pisus erfahren. Was für eine Familie! Bei denen scheinen tödliche Unfälle Tradition zu haben.«
»Schön, Valeria. Sag mir etwas, das ich noch nicht weiß.« Das Strahlen auf ihrem Gesicht erlosch, und sofort bereute Nelly ihre Flapsigkeit.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen. Aber wie die männlichen Pisus seit ein paar Generationen gestorben sind, weiß ich schon. Mich interessiert, wie sie gelebt haben. Wem sie auf die Füße getreten sind, ob sie irgendein auch nur halbwegs krummes Ding gedreht haben. Hast du da was rausgefunden?«
Sie setzte sich neben Valeria und griff nach dem Papierstoß. Zum Glück war Valeria nicht nachtragend.
»Interessant scheint mir Samuele Pisu zu sein, Giacomos Vater. Der war leidenschaftlicher Spieler, aber wohl auch ein Betrüger. Es gab anonyme Anzeigen, aber diese Leute hatten es anscheinend nicht so mit der Polizei, ich schätze, die haben das dann unter sich geregelt. Mehrmals hatte der Vater die Vergiftung von Schafen angezeigt, und einmal ist Samuele Pisu nachts überfallen und schwer verprügelt worden. Der Täter wurde nie gefasst. Er hatte verschiedene Gläubiger, der wichtigste war ein Notar, ein gewisser Leonardo Secci. Nach dem Tod des Bruders Rodolfo hat der Vater ihm wohl all seine Schulden beglichen und dann ins Gras gebissen. Die anderen Familienmitglieder standen ziemlich dumm da. Doch Samuele und der Notar Secci waren plötzlich ein Herz und eine Seele und haben bis zu Samueles Tod das eine oder andere Geschäft zusammen gemacht. Giacomo dagegen war ein stilles Wasser und hat nie von sich reden gemacht. Seine Baufirma lief jedoch ziemlich gut, als er beschloss, das Dorf zu verlassen und sein Glück in Genua zu versuchen. Die Frau von Rodolfo war bereits seit einiger Zeit mit ihrer Tochter Anna in Genua. «
Nelly nickte.
»Weiß man, wie Giacomo Pisu sich vom Kleinunternehmer zum großen Baulöwen mausern konnte? Das Kapital, woher kam das?«
Valeria schüttelte den Kopf. »Vielleicht von seiner Frau? Lorenza war die Tochter des Notars Secci. Dazu habe ich noch nichts herausbekommen, aber ich grabe weiter.«
»Die Tochter des Notars also. Danke, Valeria. Ist Ta... ist Dottor Esposito da?«
Valeria ging über Nellys kleinen Schnitzer hinweg.
»Ja, er ist in seinem Büro.«
Auf dem Flur lief Nelly Marco Auteri in die Arme.
»Ciao, Marco. Wolltest du zu mir?«
»Ja, Nelly. Ich habe gerade einen Anruf von Marilena Pisu bekommen, die mit dir sprechen wollte. Angeblich ist ihre Schwester Maria Grazia verschwunden.«
Nelly runzelte die Stirn.
»Ich rufe sie sofort zurück. Seit wann ist sie verschwunden?«
»Seit gestern Abend.«
Hastig suchte Nelly in ihrem Telefonspeicher nach Marilena Pisus Handynummer. Marilena ging sofort ran, ihre Stimme klang wie immer nüchtern und ein wenig kurzatmig, wie nach einem langen Lauf.
»Nelly? Ein Glück. Magraja ist die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen.«
»Ist das schon mal vorgekommen? Wer war bei Ihrer Mutter?«
»Celeste war bei ihr. Magraja hat sie gebeten, über Nacht zu bleiben, und ist fortgegangen. Nicht zu fassen.«
»Ich glaube, ich verstehe nicht ganz, Marilena. Ihre Schwester hat dafür gesorgt, dass jemand bei Ihrer Mutter ist, und ist ausgegangen. Was ist
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