Der Fluch vom Valle della Luna
Bandenmitglieder. Die Mitwisserschaft der Sogos-Eltern, der Frau Gavinos und des jüngsten Bruders Salvatore hatte sich nicht nachweisen lassen. Vor wenigen Jahren war Panni aus der Haft entlassen worden und irgendwo gestorben.
Nelly griff nach Stift und Zettel, um sich Daten, Namen, Orte und Fakten zu notieren. Sie breitete die Landkarte der Gegend vor sich aus, die ihr inzwischen vertraut war.
Das Schicksalsjahr war 1967 gewesen. In dem Jahr war Gavino Sogos 27 Jahre alt, sein Bruder Panni 26 und Boboi 18. Die Familie wohnte in dem Tal unweit von Luras, das Nelly gesehen hatte. Die wenige Monate alte Annabelle hatte mit ihren Eltern Ferien an der Küste gemacht, in Porto Rotondo. Sie war von den beiden Sogos-Brüdern entführt und an einem unbekannten Ort in der Nähe von Luras oder Aggius gefangen gehalten worden. In den Häusern der Sogos war nichts gefunden worden, das auf eine dortige Gefangenschaft der kleinen Annabelle schließen ließ. Sie hatte sich in Luft aufgelöst, irgendwo in der Macchia der Eichenwälder, zwischen den Felsen des Valle della Luna. Im selben Jahr war die Mutter der Sogos-Brüder womöglich aus Gram gestorben, der Vater hatte sich erschossen. Pannis Frau Maria Immacolata Chessa hatte Sardinien mit der ebenfalls wenige Monate alten Filomena verlassen. Sie war von jeder Mitschuld freigesprochen worden und nie wieder aufgetaucht. Ebenfalls im selben Jahr war die Fehde zwischen Giovanni und Giosué Secci einerseits und Giacomo Pisu andererseits ausgebrochen. Giacomo hatte seine Siebensachen gepackt, war mit seiner Familie und einem Haufen Geld in der Tasche aufs Festland gezogen und hatte nie wieder einen Fuß auf sardischen Boden gesetzt. 1967 war Anselmo elf, Marilena neun, Alceo sechs und Magraja war gerade geboren worden. Ein unschuldiges Bündel, genau wie Annabelle Simon und Filomena Sogos.
Um so ein Kind zu versorgen, braucht man eine Frau, man kann es schließlich nicht an ein Schafseuter hängen. Oder sie wollten es von vornherein umbringen. Die Zeitungsbilder aus der Zeit waren schwarzweiß, verschwommen, gaben wenig her. Valeria, die etwas über Maria Immacolata und Filomena Sogos herausbekommen sollte, hatte bisher noch nichts gefunden. Die Frau schien sich samt ihrer Kleinen in Luft aufgelöst zu haben, die inzwischen die vierzig gepackt haben dürfte. Aber wieso hatte Panni Sogos nicht seine Komplizen ans Messer geliefert, die ihn und seinen Bruder verraten haben?
Die Tür öffnete sich sacht, und Nelly, die mit geschlossenen Augen dasaß, um sich besser konzentrieren zu können, wurde plötzlich gepackt und auf den Mund geküsst. Sie fuhr hoch und riss die Augen auf.
»Tano!«
Für einen kurzen Augenblick ließ sie sich gehen, dann schob sie ihn sanft von sich.
»Wann bist zu zurückgekommen?«
Er lachte. Sein Bart war noch länger als sonst, das blaue Hemd zerknittert.
»Gerade eben. Ich bin noch nicht einmal zu Hause gewesen, um mich umzuziehen, ich wollte dich sehen. Du hast mir gefehlt, Nelly.«
»Du hast mir auch gefehlt.« Die Wahrheit rutschte ihr einfach so heraus, und er musste lächeln. Ein triumphierendes Lächeln? Sein Blick fiel auf die Akten auf Nellys Schreibtisch. Er überflog die Seiten.
»Die Simon-Entführung ... Die Sogos-Brüder ... Haben die etwas mit den Pisus zu tun? Was ist sonst noch in Sardinien rausgekommen?«
Er griff sich einen Stuhl.
»Na ja. Diese Sogos waren Hirten von den Pisus, dann von den Seccis und zwei von ihnen, Gavino und Giovanni, genannt Panni, hatten sich auf die Entführung von Kindern reicher Leute verlegt. Das war Mitte der Sechziger. Sie haben einen Haufen Geld kassiert, bis 1967 die Entführung der kleinen Annabelle Simon schiefgelaufen ist. Gavino wurde von den Carabinieri erschossen, das Mädchen wurde nie mehr gefunden und für tot erklärt. Panni ist vor ein paar Jahren aus dem Knast gekommen und inzwischen gestorben. Ich habe mit dem jüngsten Bruder Salvatore gesprochen. Er hat aus seiner Verachtung für Giacomo Pisu keinen Hehl gemacht.«
Tano las mit gerunzelter Stirn.
»Das Geld ist also nicht gefunden worden. Und auch die Komplizen nicht. Glaubst du, unser Freund Giacomo Pisu war in die Entführungen verwickelt?«
»Möglich, meinst du nicht? Er ist mit einem hübschen Sümmchen nach Genua gekommen und hat seine Firma aufgezogen. Allerdings war seine Frau die Tochter eines steinreichen Notars, das Geld konnte also genauso gut daher stammen. Die Apotheke der Pisus gehört heute den Seccis, und wie es
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