Der Fluch vom Valle della Luna
wiederum hat es dem Sogos-Vater verkauft. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden ...« Er machte ein bedauerndes Gesicht, und Nelly verließ das Gebäude mit dem Gefühl, keinen Schritt weitergekommen zu sein. Das stimmt nicht ganz. Es ist zwar total unklar, wie, aber ich bin mir sicher, dass die Schicksale dieser drei Familien, der Seccis, der Pisus und der Sogos miteinander verflochten sind. Liegen die Lösegelder wirklich unter irgendeiner Eiche? Und wenn Panni Sogos’ Frau Chessa sich damit aus dem Staub gemacht hat? Die ist wie vom Erdboden verschluckt. Da hat Valeria wieder was zu tun.
IV
Tano war noch nicht wieder aus Rom zurück. Seit Nelly nach Sardinien aufgebrochen war, hatte er sich nicht mehr gemeldet, und das Präsidium wirkte ohne ihn fremd und leer, trotz all der Menschen, der Hektik und dem üblichen Ärger. Andere Fälle hatten sich auf ihrem Schreibtisch angehäuft und verlangten nach Aufmerksamkeit, und das in nur drei läppischen Tagen. Aber war sie wirklich dort gewesen? Wenn sie die Augen schloss, konnte sie den berauschenden Duft der Myrten und all der anderen Pflanzen riechen, deren Namen sie nicht kannte, das Rauschen des Wasserfalls und das Blöken der Schafe hören. Und dann das Dorf, das rückblickend alles andere als offen und freundlich erschien, sondern unheimlich wie an dem Abend ihrer Rückkehr von Signora Amalia. Tempio. Die Dolmen. Boboi Sogos und sein Messer im Garten Eden. Der Geschmack des Käses. Sie und Gerolamo waren nun seit zehn Tagen wieder zurück, und alles war in der Erinnerung bereits verschwommen. Der kurze Aufenthalt auf der Insel hatte sich eingebrannt, hatte den Wunsch geweckt zurückzukehren und eine diffuse Wehmut hinterlassen, die sich mit der Sehnsucht nach Tano und Carlo mischte. Und nach Mau. Und über allem schwebte die nervenaufreibende Ermittlung im Mordfall Pisu, die keinen Schritt voranging.
Basile war in Tempio bei Filippo De Magistris geblieben, der vor wenigen Tagen aufgewacht war und sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte, was ihm im Valle della Luna zugestoßen war. Davon abgesehen erholte er sich rasch und würde bald wieder in Genua sein. Niemand konnte jedoch sagen, ob seine Erinnerung zurückkehren würde. Valeria hatte sich über den Lebenswandel der Sogos-Brüder informiert, und Nelly hatte mit den Carabinieri telefoniert, die sich damals mit dem Fall befasst hatten. Jetzt, um sechs Uhr abends an einem kühlen, regnerischen Apriltag, saß Nelly am Schreibtisch und versuchte Ordnung in das vorhandene Material zu bringen.
Die Geschichte der Sogos-Brüder und ihrer Entführungen war ziemlich seltsam. Anormal, wie sich der inzwischen pensionierte damalige Chef der Anti-Entführungs-Einheit von Sassari am Telefon ausgedrückt hatte. Die Brüder waren Anfang der sechziger Jahre aktiv gewesen, als der Tourismus langsam losging und die Costa Smeralda Leute mit Geld anzog. Sie hatten vor allem kleine Kinder entführt und die Eltern dermaßen unter Druck gesetzt, dass die ersten drei Entführungen völlig unbemerkt geblieben waren. Die Kleinen waren auf unterschiedlichste Art entführt worden, nachts aus dem Bett, am Strand oder beim Spielen im Garten. Die Eltern wurden durch Boten kontaktiert, die in direktem Kontakt mit den Entführern standen: Wenn sie zahlten und den Mund hielten, bekämen sie die Kleinen in kürzester Zeit zurück. Sollten sie auf die Idee kommen, zur Polizei zu gehen, würden Entführer und Kind auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
In drei Fällen hatten die Eltern riesige Summen gezahlt, und die Kinder waren den Vermittlern übergeben worden, die schworen, mit der ganzen Sache nichts zu tun zu haben und lediglich von den Entführern zu den Botendiensten gezwungen worden zu sein. Die vierte und lukrativste Entführung war jedoch in einem Desaster geendet. Die Geisel war ein wenige Monate altes Mädchen gewesen, Tochter vermögender Schweizer, die ihre Ferien an der Costa Smeralda verbrachten. Das Kindermädchen hatte die Kleine, die in der Wiege im Garten schlief, wenige Minuten aus den Augen gelassen, und als sie zurückkam, war das Baby verschwunden. Stattdessen lag dort ein Zettel mit der Lösegeldforderung und ein Totenschädel, der deutlich machte, was passieren würde, wenn sie die Polizei einschalteten. Die verzweifelten Eltern trieben die für die damalige Zeit schwindelerregende Summe auf und warteten mit einem sardischen Notar an ihrer Seite auf weitere Anweisungen.
Endlich kommt die Nacht
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