Der Fluch vom Valle della Luna
aussieht, haben die und Giacomo sich damals alles andere als gütlich getrennt. Keinerlei Kontakt mehr, die Nichte Nedda Secci hat ihre Tante – Giacomos Frau Lorenza – nie mehr gesehen. Ach, da war noch eine Freundin von Anna Pisu, eine gewisse Amalia Sanna. Sie meinte, hinter dem Tod von Rodolfo Pisu stecke der Bruder Samuele. Und dessen Sohn Giacomo – jetzt kommt’s! – hätte besagten Samuele auf dem Gewissen. Seinen eigenen Vater, stell dir das mal vor!«
Tano pfiff durch die Zähne.
»Das sind ja griechische Tragödien. Egal, wo man bei deinen Pisus anfängt zu graben ...«
»... kommen Blut und Geld zum Vorschein«, schloss Nelly nickend. Er lachte.
»Fehlt nur noch Sex, dann haben wir die drei Motive zusammen, die bei x-tausend Verbrechen Pate stehen und die Zeitungen glücklich machen. Kommst du heute Abend zu mir?«
Nelly antwortete nicht, aber ihr Blick sprach Bände.
»Sie war im Dorf ... Die ahnt etwas.« »Wo denkst du hin, was soll die denn schon ahnen. Die kann nichts ahnen, sie hat nichts in der Hand. Soll sie sich ruhig den Kopf zerbrechen. Und selbst wenn sie was wittert, wird ihr das nichts nützen.«
V
An der Ermittlungsfront tat sich wenig Neues, an der privaten Front hingegen ... O dolci baci, o languide carezze! Nelly lebte und arbeitete wie in Trance. Sandra hatte sich seit ihrer Rückkehr aus Sardinien nicht mehr gemeldet. Ein paar Mal hatte Nelly erfolglos versucht, sie zu erreichen, um ihr von den Erlebnissen in ihrem Heimatdorf zu berichten und sie nach dem Gesundheitszustand ihrer Mutter zu fragen. Als Nelly gerade um halb neun Uhr abends vor einem Glas Guinness und einer Scheibe gefüllter Kalbsbrust in der Küche saß, klingelte es. Es war Sandra.
»Sa! Wenn man an den Teufel denkt ... Ich war drauf und dran, dich anzurufen.« Nelly öffnete die Tür, ging in die Küche und holte ein zweites Glas und ein kaltes Guinness heraus. Als Sandras Gesicht in der Tür auftauchte, begriff sie, dass die Freundin das Bier dringend nötig hatte. Sie war blass trotz des dicken Makeups, und die Wimperntusche rann ihr mit Tränen vermischt über die Wangen.
»Was ist passiert, Sandra? Was ist los? Geht es deiner Mutter schlecht?«
Sandra schüttelte wortlos den Kopf. Ein ersticktes Schluchzen war zu hören.
»Ist ... ist wieder was mit deinen Verwandten?«
Wieder ein Kopfschütteln, energischer als das erste.
»Was ist es dann? Na los, raus mit der Sprache ...«
»Giorgio hat mich verlassen.« Ein Schniefen.
»Aber du hast mir doch vor kurzem erzählt, zwischen euch liefe alles prima?«
»Vor kurzem ist in Wirklichkeit zwei Monate her. Inzwischen hat dieses Arschloch sich eine fünfzehn Jahre Jüngere gesucht, mit der er zusammenziehen will. Und mir hat er immer wieder beteuert, er sei nicht fürs Zusammenleben gemacht!«
Sandra brach in lautes Weinen aus, der Rotz lief ihr aus der Nase. Nelly war zu verdattert, um angemessen zu reagieren. »Wärst du so freundlich, mir wenigstens ein beschissenes Tempotaschentuch zu geben?«, zeterte Sandra aufgelöst. Hastig riss Nelly ein Blatt von der Küchenrolle. Die Katzen hatten sich schon lange verdrückt. Sie hassten Szenen. Sie waren viel zu empfindlich. Sandra schnaubte sich die Nase, und allmählich ebbte der Heulanfall zu immer vereinzelteren Schluchzern ab. Entschlossen griff Sandra nach ihrem Bier und kippte es in einem Zug herunter.
»Sie ist Praktikantin bei der Mailänder Zeitung, für die er hin und wieder schreibt. So haben sie sich kennengelernt. Total nichtssagend, eine Art überdimensioniertes Meerschweinchen, aber eben gerade mal zwanzig Jahre jung«, schloss sie bissig. »Lange Rede, kurzer Sinn, er hat sie gefickt, und jetzt ist es die ganz große Liebe, und er hat beschlossen, nach Mailand zu ziehen, wo sie sich eine Wohnung suchen und zusammenleben wollen. Was sagst du dazu? Hast du noch ein Bier?«
Nelly holte das letzte Guinness aus dem Kühlschrank und ärgerte sich, dass sie nicht für Nachschub gesorgt hatte. Zum Glück war noch eine halbe Flasche Four Roses da. Sandra öffnete das Bier mit einem Feuerzeug, trank es gierig halbleer und knallte es auf den Tisch. Sie weinte nicht mehr.
»Was soll’s, ich weiß eh, dass du Giorgio nicht leiden konntest.« Nelly wollte widersprechen, doch Sandra hob abwehrend die Hand. »Und du hattest recht. Ein schleimiger, selbstverliebter Lackel. Ich sollte froh sein, dass ich ihn los bin, aber ich bin es so satt, allein zu sein, Nelly. Nie auf einen grünen Zweig
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