Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
»Georgie gibt Tom Spielsachen«, erklärte er hilfsbereit.
»Georgie?« Simon knipste die Taschenlampe aus. »Und wer ist Georgie?«
Es entstand eine Pause. »Es gibt keinen Georgie.« Lukes Stimme klang plötzlich sehr drohend.
»Ich verstehe.« Simon ging zum Tisch zurück und griff nach seiner Teetasse. »Ein Phantasiefreund.«
»Nein«, erwiderte Joss vom Fenster aus bestimmt, ohne sich umzudrehen. »Er ist keine Phantasie. Wenn er das wäre, wie könnte er Tom dann das Spielzeug geben?«
»Richtig.« Simon blickte zu Luke, der daraufhin die Achseln zuckte. »Luke, würde es Ihnen etwas ausmachen?« Er deutete
mit dem Kopf auf die Tür. Dann wartete er, bis Luke im Hof war, und stand auf. »Beweg dich doch mal ein bißchen, alter Knabe«, sagte er und ging zu dem Schaukelpferd zurück.
»Ihrem Sohn fehlt nichts, Joss. Er hat sich nur erschreckt. Eine kleine Schramme im Rachen, weiter nichts.« Er bemerkte ihre verspannten Schultern. »Erzählen Sie mir doch mal, wie es Ihnen geht.«
»Mir geht es gut.« Ihre Stimme klang gepreßt.
»Wirklich gut?« Er schaukelte immer weiter das Pferdchen.
Jetzt drehte sich Joss um. »Was hat Luke Ihnen gesagt?«
»Er macht sich Sorgen. Er denkt, Sie arbeiten zuviel.«
»Er denkt, ich werde verrückt.«
»Hat er denn recht damit?«
Er hatte erwartet, daß sie bei dieser Frage auffahren würde. Aber sie ging nur an den Tisch und setzte sich vor ihre Tasse. »Ich glaube, langsam weiß ich das selbst nicht mehr.«
»Hm. Und wer ist Georgie?«
»Mein Bruder.«
»Ihr Bruder?« fragte er erstaunt. »Ich wußte gar nicht, daß Sie einen haben.«
»Ich habe auch keinen.« Sie schaute auf. »Er starb 1962, zwei Jahre, bevor ich zur Welt kam.«
»Ach.« Nur ein winziges Zögern in seiner Schaukelbewegung verriet, daß er Toms plötzliche Anspannung bemerkt hatte. Der Kleine löste den festen Griff, mit dem er den Zügel aus rotem Leder umklammert hatte, und steckte einen Daumen in den Mund. Simon runzelte die Stirn. »Wo ist Lyn?« fragte er.
Joss zuckte die Achseln. »Vielleicht lauscht sie an der Tür?«
»Also Joss, ich bitte Sie.« Simon ging zur Tür und öffnete sie. Der Gang war leer. »Es wäre gut, wenn Lyn käme und dem kleinen Tom hier sein Frühstück geben würde, bevor er so sehr Hunger hat, daß er sich in ein winziges Fröschlein verwandelt; und mit Ihnen würde ich mich derweil gern ein wenig unterhalten. Lyn?« Sein Ruf war überraschend laut.
Sie hörten beide, wie Lyn in ihren Schlappen näher kam. Sie war nicht weit weg gewesen.
»Also, erzählen Sie mir, was los ist«, begann Simon, sobald er mit Joss im Arbeitszimmer war. Er stellte sich vor den Kamin;
Lyn hatte bereits Feuer gemacht, wie Joss bemerkte. Es flackerte gemütlich, und der süße Duft des Obstbaumholzes erfüllte den Raum.
»Was hat Luke Ihnen erzählt?«
»Er meint, daß Sie vielleicht eine postnatale Depression haben.«
»Glauben Sie das auch?«
»Ich halte es für unwahrscheinlich. Vielleicht sind Sie müde, und vielleicht auch ein bißchen depressiv – zeigen Sie mir eine frischgebackene Mutter, die das nicht ist –, aber das ist nichts Ernsthaftes. Wie schlafen Sie denn zur Zeit?«
»Gut.« Es war eine Lüge, und das wußten sie beide.
»Und Sie stillen noch immer?«
Sie nickte. »Aber nur einmal am Tag.«
»Vielleicht schaue ich mir besser diesen jungen Mann auch gleich mal an, wenn ich schon hier bin.«
»Simon.« Sie ging unruhig zu ihrem Schreibtisch. »Ich habe das mit Georgie nicht erfunden. Sie haben doch selbst gehört, daß Tom ihn gesehen hat.«
»Stimmt. Also, erzählen Sie mir von ihm.«
»Wenn nur ich es wäre, Simon, dann würde ich mich fragen, ob ich eine Zwangsjacke brauche. Aber ich bin nicht die einzige. Auch andere Leute haben sie gesehen.«
»Sie?«
Joss setzte sich. »Ist Ihnen dieser irritierende und unerschütterliche Ton im Medizinstudium beigebracht worden?«
Er lächelte. »Gleich am allerersten Tag. Wenn Sie den nicht draufhaben, fliegen Sie sofort raus.«
»Sie können also tun, als könnte Sie nichts auf der Welt überraschen oder erschüttern.«
»Mich kann nichts überraschen oder erschüttern, Joss, glauben Sie mir.«
»Also zucken Sie auch mit keiner Wimper, wenn ich sage, daß es in diesem Haus spukt?«
»Absolut nicht.«
»Ich habe Georgie und Sammy gehört – das ist mein anderer Bruder – , aber es gibt noch jemanden.« Sie konnte das leichte Beben in ihrer Stimme nicht unterdrücken.
»Noch jemand?«
»Tom nennt
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