Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
zu bringen, war der junge Mann verschwunden. Ungläubig starrte er auf die verschlossenen Türen und kehrte dann widerstrebend ins Haus zurück.
Er richtete sich in Joss’ Arbeitszimmer ein, legte ihre Notizen und ihr Manuskript in ordentlichen Stapeln unter dem Tisch auf den Boden und breitete dann seine eigenen Unterlagen auf dem Tisch aus. Die Frage, ob er es sich hier als ungeladener Gast einfach gemütlich machen durfte, bereitete ihm kaum Gewissensbisse. Schließlich hatte Jimbo, der – so unwahrscheinlich das auch sein mochte – offenbar die Verantwortung für das Haus hatte, ihm die Schlüssel gegeben. Und nicht zuletzt war er ja Neds Pate und damit quasi ein Verwandter. Er war sicher, daß Joss ihn herzlich aufgenommen hätte, wenn sie dagewesen wäre. Ob Luke sich über sein Kommen ebenso gefreut hätte, darüber machte er sich keine großen Gedanken.
Er setzte sich an Joss’ Schreibtisch und begann, in seinen Notizen zu lesen. Morgen wollte er als erstes die Kirche aufsuchen, um einige seiner Informationen mit Inschriften auf Gedenktafeln und Grabsteinen zu vergleichen. Zuvor aber mußte er einfach ein Gefühl für das Haus bekommen.
Er sah ins Feuer, für das die Holzscheite fertig geschichtet gewesen war. Jetzt prasselte es fröhlich und verbreitete schon etwas Wärme im Raum. Seinen Nachforschungen zufolge war das Haus ursprünglich an der Stelle einer römischen Villa gebaut worden; das jetzige Gebäude war mit Sicherheit bereits im
frühen fünfzehnten Jahrhundert ein stattliches Herrenhaus gewesen, wahrscheinlich sogar schon hundert Jahre zuvor. Doch ihn interessierte das fünfzehnte Jahrhundert. Und ganz besonders die Regierungszeit König Edwards IV.
Er ließ sich noch einmal die Daten durch den Kopf gehen. Im Jahre 1482 war Edward dreimal nach East Anglia gekommen; bei zweien dieser Besuche wurde Belheddon namentlich in den Dokumenten erwähnt, beim dritten gab es lediglich einen indirekten Hinweis. David hatte die Aufenthaltsorte des Königs aufgelistet: Genau neun Monate nach seinem letzten Besuch war Katherine de Vere gestorben. Im Monat ihres Todes hatte der Monarch zwei Wochen lang Castle Hedingham besucht. Im Jahr zuvor hatte er mehrere Wochen in Belheddon verbracht, und noch ein Jahr vorher war er zweimal je eine Woche lang dort gewesen. David hätte gewettet, daß Katherines Ehe auf Anordnung des Königs geschlossen worden war, damit dessen uneheliches Kind einen Vater hatte. Doch der arme junge Mann hatte sich dieser zweifelhaften Ehre nicht lange erfreuen können; schon nach wenigen Monaten war er gestorben. Eines natürlichen Todes oder durch die Hand eines eifersüchtigen Mannes, der es nicht ertragen konnte, seine Geliebte als Gattin eines anderen zu sehen? Diese Frage würde wahrscheinlich für immer unbeantwortet bleiben.
Gedankenversunken saß David da und ließ den Blick zum Fenster hinauswandern. All diese Vermutungen basierten auf Fakten. Nur beim Motiv hatte er spekuliert. Es ließ sich nicht beweisen, daß das Kind, bei dessen Geburt Katherine gestorben war, vom König stammte; alles andere stand nachweislich in den Dokumenten. Mit dem restlichen Teil seiner Nachforschungen allerdings hatte er sich ziemlich weit von dem entfernt, was für einen seriösen Historiker akzeptabel war – nämlich die Sache mit Margaret de Vere und ihrer Hexenkunst. Obwohl er allein war, mußte er etwas verlegen lächeln. Daß sie unter Anklage gestanden hatte, war historisch belegt; ebenso, daß sie zweimal verhaftet worden war. Daß sie und die mit ihr angeklagten Frauen des ihnen angelasteten Verbrechens tatsächlich schuldig waren, wiesen die Historiker allerdings empört zurück. Die Frauen seien von den Anhängern von Edwards Bruder Richard fälschlich
beschuldigt worden. Aber… Noch einmal ging David die Fakten durch. Das erste Mal wurde Margaret auf Anordnung Edwards kurz nach einem seiner Besuche in Belheddon Hall verhaftet. Bei dieser Gelegenheit war sie sicher nicht fälschlich beschuldigt worden, es sei denn von Edward selbst. Aber weshalb sollte er seiner Gastgeberin, der Mutter seiner jungen Geliebten, eine Schuld unterschieben und sie damit beiseite schaffen wollen? Doch höchstens, weil sie gegen ihn war. Doch davon auszugehen, daß sie sich einer Verbindung mit dem König in den Weg stellte, selbst wenn es nur eine außereheliche war, das ergab ganz sicher keinen Sinn. Keine ehrgeizige Frau jener Zeit, die auch nur einigermaßen bei Verstand war, hätte das getan.
Es sei
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