Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
hinausschoß, warf er einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Alle Fenster des Hauses waren hell erleuchtet. Er drückte das Gaspedal voll durch, so daß die Räder durchdrehten, und jagte auf die Straße zu.
Mary Sutton war soeben an der Haltestelle bei Belheddon Cross aus dem letzten Bus ausgestiegen und ging in der Dunkelheit über den Dorfanger nach Hause. Als sie sah, wie das Auto aus Belheddon Hall herausgeschossen kam und dann nach Westen durch das Dorf raste, blieb sie verwundert stehen. Sie starrte auf die allmählich in der Ferne verschwindenden Rücklichter und blickte dann nachdenklich die Auffahrt hinauf. Die Grants waren
verreist, das hatte Fred Cotting, der Vater des jungen Jimbo, ihr gesagt. Das Haus sollte also eigentlich leer sein.
Die Nacht war kalt und klar; vom Tor aus konnte sie im Sternenlicht das Haus sehen. Die Fenster waren dunkel, keine Vorhänge waren zugezogen, die Scheiben schwarz und matt.
Sie stand da, ihre geräumige Tasche fest mit beiden Händen umklammernd, und zögerte. Die kleine Lolly hätte sich gewünscht, daß sie auf das Haus aufpaßte. So hatte Lauras Bruder Robert seine kleine Schwester genannt. Robert, der mit vierzehn starb, als er aus der großen Kastanie gefallen war, die vor dem Haus stand, als wollte sie es beschützen. Mary hatte Lauras Tochter nichts von den beiden Jungen, den Brüdern Lauras, erzählt. Jocelyn hatte ja den Tod ihrer eigenen Brüder kaum verkraften können.
Mary schürzte die Lippen und ging langsam auf das Haus zu. Sie glaubte nicht, daß das Auto, das so schnell davongefahren war, einem Einbrecher gehört hatte. In seiner ganzen Geschichte war in Belheddon Hall noch nie eingebrochen worden. Das wagte niemand. Aber wer war dann hiergewesen?
Sie blieb auf dem Kies vor dem Haus stehen und spürte die Gefühle, die wie in Wellen von ihm ausstrahlten: Angst, Haß, Liebe, Glück; sie spürte die segensreiche Heiterkeit, die vom Lachen kleiner Jungen herrührte, und hinter all dem das eiskalte Übel, das Böse, das sogar die Luft vergiftete.
Sie packte ihre Tasche noch fester und begann, um das Haus herumzugehen. Alle Türen und Fenster waren verschlossen. Vor jeder Tür und jedem Fenster murmelte sie einige Worte und machte das Zeichen des schützenden Pentagramms. Sie hatte ihre Kräfte schon lange nicht mehr eingesetzt, und verglichen mit jenen von Margaret de Vere waren sie schwach, aber ihre, Marys, Treue zur kleinen Lolly und ihrer Tochter war unerschütterlich. Die beiden sollten alle Kraft bekommen, die ihr noch geblieben war.
32
Z wei Tage zuvor hatten sie nach einem kurzen Flug von Stansted nach Orly in Les Invalides ein Taxi genommen und waren direkt zu ihrem Hotel in der Nähe des Étoile gefahren. Joss war sehr still gewesen. Jedesmal, wenn Luke zu ihr sah, war sie ihm noch zurückgezogener und blasser erschienen. Als sie schließlich den Fahrer bezahlt und ihr Zimmer aufgesucht hatten, machte sie den Eindruck, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen.
»Möchtest du Mutter anrufen und fragen, wie es den Jungs geht?« Er setzte sich zu ihr aufs Bett. Draußen rauschte der Verkehr durch die Straße, Reifen dröhnten über die Pflastersteine. Vom Café auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig drang der Duft von Kaffee, Knoblauch und Wein zu ihnen empor, als der Wind die Netzgardinen ins Zimmer wehte. Luke stand auf, um das Fenster zu schließen, und setzte sich dann wieder neben sie.
»Also, was wollen wir jetzt unternehmen?« fragte er, nachdem sie den Anruf erledigt hatte. »Es geht ihnen gut. Sie sind bester Laune und gut aufgehoben, und es gibt nichts, worüber du dir Sorgen zu machen brauchst, außer dir zu überlegen, wie wir uns am besten die Zeit vertreiben.«
Joss holte tief Luft, und beim Ausatmen spürte sie, wie die Anspannung langsam von ihr abfiel. Sie war in Sicherheit. Die Kinder waren in Sicherheit. Luke war in Sicherheit. Der Verkehrslärm von draußen, der auch durch das Schließen des Fensters nur geringfügig leiser geworden war, und die bauschigen weißen Netzgardinen hatten etwas Beruhigendes an sich. Ohne nachzudenken ließ sie sich der Länge nach aufs Bett fallen und dehnte die Arme wohlig über den Kopf. Später würde sie an den Franzosen ihrer Mutter denken, aber jetzt, nur für kurze Zeit, wollte sie sich ausruhen. Im Moment war Belheddon sehr weit weg. Sie war entkommen.
»Paris scheint dir schon jetzt gutzutun«, sagte Luke lächelnd.
»Das stimmt.« Sie streckte die Arme nach ihm aus.
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