Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
ging ohne ein Wort der Begrüßung an der Remise vorbei und trat in die Küche. Dort blieb sie überrascht stehen. Neben dem Küchentisch stand eine Fremde.
»Joss?« Die junge Frau streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Natalie Cotting, Jims Schwester. Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen.«
40
» H ier spielte sich immer am meisten ab.« Sie standen vor dem Kamin im großen Saal. »Hier und im großen Schlafzimmer oben.« Natalie blieb lange Zeit reglos stehen, die Augen auf einen Punkt wenige Zentimeter vor ihren Fußspitzen gerichtet. Joss beobachtete sie aus einem Meter Entfernung. Sie spürte einen Knoten der Anspannung irgendwo unter ihren Rippen, der ihr das Atmen erschwerte. Natalie nickte bedächtig. Ohne ein Wort zu sagen, bewegte sie sich zur Treppe und blieb dann wieder stehen. »Im Arbeitszimmer gab es früher nie Schwierigkeiten. Ist es immer noch ein glücklicher Raum?«
Joss nickte.
»Gut. Dann gehen wir nach oben.«
Langsam wanderten sie durch alle Zimmer des Hauses und kehrten dann in die Küche zurück. Auch dort verharrte Natalie eine Zeitlang bewegungslos und mit gesenktem Kopf, bis sie schließlich aufsah und Joss’ Blick bemerkte. »Entschuldigung. Sie halten mich bestimmt für verrückt.«
Joss lächelte. »Gar nicht. Aber sagen Sie mir, was Sie tun.«
»Ich fühle mich einfach nur um.« Natalie glitt auf den Stuhl am Kopfende des Tisches, beugte sich vor und stützte das Kinn in die Hände. Sie sah ernst aus, als würde sie gleich zu einer Versammlung von Vorstandsvorsitzenden sprechen. »Als ich klein war, bin ich oft hierhergekommen. Ich habe immer mit den Jungs gespielt, mit Georgie und Sam. Georgie ist ungefähr zehn Jahre vor meiner Geburt gestorben, und Sam noch mal zehn Jahre früher. Ich nehme an, das waren Ihre Brüder?« Erst als Joss nickte, fuhr sie fort: »Natürlich haben die beiden sich im Leben nie kennengelernt, aber dort, wo sie jetzt sind, in welcher Dimension auch immer, sind sie zwei Lausebengel.« Sie lächelte voller Zuneigung.
»Mein Sohn Tom redet von ihnen. Er hat Spielsachen von ihnen gefunden. Und…« Joss zögerte. »Ich habe gehört, wie sie sich gegenseitig rufen.«
Natalie nickte. »Richtige Äffchen. Natürlich gibt es hier noch andere Kinder – die Jungen, die nicht mehr da sind. Da ist Robert, der Bruder Ihrer Mutter. Und der kleine John. Er ist ganz klein, gerade mal drei, mit goldenen Locken und großen, blauen Augen.«
Vor Überraschung riß Joss den Mund auf. »Sie können sie sehen?«
»In meinem Kopf. Nicht immer. Heute nicht. Heute sehe ich nichts«, sagte sie mit einem Stirnrunzeln. »Heute sind jede Menge anderer Dinge hier. Unangenehme Dinge.« Sie ballte die Hände zur Faust. »Irgend jemand hat sich hier eingemischt. Pfarrer Gower – Jim hat mir davon erzählt. Er hat alles immer nur schlimmer gemacht, weil er nicht verstand, womit er es hier zu tun hatte. Der Exorzismus funktioniert, aber nur, wenn der zuständige Priester die Lage richtig einschätzt. Viele tun’s nicht. Oft haben sie es mit Menschen zu tun – mit Menschen wie Sie und ich, und nicht mit Dämonen. Dann wieder sind sie mit etwas
konfrontiert, das noch viel böser ist und das sie nicht begreifen können, und dann läßt ihr Glaube an das, was sie tun, sie im Stich. Sie sind nicht stark genug.«
»Und womit haben wir es hier zu tun?« fragte Joss im Flüsterton. Ihre Augen waren auf Natalie geheftet.
»Ich weiß es noch nicht genau. Als ich als Kind hierherkam, war ich immer willkommen. Ich konnte mit Sam und Robert reden. Aber die sind nicht da. Sie verstecken sich. Da ist etwas anderes. « Rastlos, mit raschen Bewegungen stand sie auf und sah kopfschüttelnd zum Fenster hinaus. »Jetzt ist zu viel hier. Es ist verwirrt. Ich brauche etwas Zeit. Gehen wir wieder in den großen Saal.«
Einige Minuten später, als sie vor dem Kamin stand, schüttelte sie erneut den Kopf. »Ich kann so viel Wut und so viel Schmerz fühlen.« Sie legte sich die Hände an die Schläfen. »Es füllt meinen Kopf aus. Ich kann die Stimmen nicht unterscheiden.«
Joss zitterte. In ihrem eigenen Kopf fühlte sie auch etwas – ein Echo, sonst nichts; ein Echo, das sie nicht ganz hören konnte.
Katherine
Es war der Name aus den Schatten.
»Katherine«, flüsterte sie. »Gehört sie dazu?«
Natalie hob abwehrend die Hand und lauschte angestrengt auf etwas, das Joss nicht hören konnte.
Katherine, meine Geliebte. Du solltest auf ewig mir gehören.
Katherine! Wo bist du?
Natalie
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