Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
über die Pflastersteine zur Hintertür ging, und bemerkte geistesabwesend, daß unter ihrem kurzen, engen Rock ein Paar sehr attraktive Beine hervorschaute.
»Wo arbeitet sie genau, Jim?« fragte er, als er zur Werkbank ging.
»In einer Anwaltskanzlei.« Jim grinste ihn über einen öligen Vergaser hinweg an. »Sie hat die grauen Zellen von der Familie bekommen. Für mich is nix übriggeblieben.« Fröhlich zog er die Nase hoch. »Keine Ahnung, wo die herkommen. Von meinem Pa auf jeden Fall nich, soviel steht fest.«
»Willst du später zum Haus rübergehen?« Lyn hatte gerade das Frühstück der Kinder fortgeräumt und Janets Küche in einen makellosen Zustand versetzt. Nun warf sie einen Blick auf Joss, die vor einer Tasse Kaffee am Tisch saß. »Du hast noch gar nichts gegessen. Das ist nicht gut für dich.«
»Um ehrlich zu sein, ist mir ein bißchen übel. Ich esse später etwas. Der Kaffee reicht. Ja, ich wollte nachher zu Luke gehen und mit ihm reden. Wenn es dir nichts ausmacht, mit den Jungen hierzubleiben.« Sie lächelte liebevoll zu Tom hinüber, der auf dem Läufer mit dem Bruder von Kit und Kat spielte.
»Hast du Luke angerufen?«
Joss schüttelte den Kopf. »Ich versuche seit fünf Uhr morgens, mich davon abzuhalten. Aber bestimmt ist alles in Ordnung.«
Lyn machte ein aufmunterndes Gesicht. »Das glaube ich auch.« Dann musterte sie Joss wieder. »Du siehst schrecklich
aus. Warum gehst du nicht wieder ins Bett? Janet hat bestimmt nichts dagegen. Sobald sie mit ihren Hühnern oder was auch immer fertig ist, will sie mit mir und den Jungs einkaufen gehen. Dann kannst du dich ausruhen.«
Ich habe mich ausgeruht, tagelang. Diese Worte lagen Joss auf der Zunge, aber sie sprach sie nicht aus. Sie fühlte sich wirklich elend, und nichts würde ihr besser gefallen, als sich wieder ins Bett zu legen, aber sie mußte zum Haus gehen. Sie mußte mit Luke reden. Und vor allem wollte sie nicht, daß die Jungen dorthin gingen. Nie wieder.
Sie wartete, bis die anderen fort waren, bevor sie zur Hintertür hinaustrat und mit raschen Schritten zum Obstgarten ging. Es war ein trüber, kalter Tag; von den kahlen Zweigen der hohen alten Apfelbäume fielen im Vorübergehen Regentropfenschauer auf sie, und hinter dem Gitterwerk der Äste sah sie die drohenden Regenwolken am Himmel. Fröstelnd beschleunigte sie ihren Schritt und fühlte das nasse Gras und die rutschige Erde unter ihren Füßen, als sie vom Obstgarten auf den Pfad einbog. In der Ferne konnte sie die Giebel von Belheddon Hall ausmachen, die oben am Grat des Hügels im Dunst aufragten.
Es schien sehr still im Garten, als sie durch die Pforte schlüpfte und langsam um den See ging. Am anderen Ufer paddelte eine Ente, die ab und zu ihren Schnabel in die Grünpflanzen tauchte. Joss blieb kurz stehen und beobachtete die kreisförmigen Wellen, die dadurch auf der Wasseroberfläche entstanden.
Die Läden im Arbeitszimmer waren noch geschlossen; selbst von hier aus konnte sie die leeren Fenster erkennen. Während sie das Haus betrachtete, wanderte ihre Hand automatisch zu dem Kreuz an der Kette um ihren Hals.
Niemand sah sie kommen. Auf dem nassen Rasen hatten ihre Schritte dunkle Spuren hinterlassen. Zitternd vor Kälte trat sie auf die Terrasse und ging zu den Fenstern. Im trüben Morgenlicht konnte sie sehen, daß im großen Saal kein Feuer brannte; aber auf dem Tisch stand eine Vase mit verwelkten Blumen, umgeben von abgefallenen Blütenblättern. Sie spürte, wie ihre Nackenhaare sich aufstellten, und vergrub die Hände tief in den Taschen. Es waren ganz gewöhnliche Blumen. Chrysanthemen
und Herbstastern. Aber warum hatte Lyn sie in dem Zustand dort stehengelassen?
Mit schweren Schritten ging sie zum Hoftor und blieb stehen. Die Remise stand offen, die hellen Neonröhren verbreiteten ein grelles Licht, und sie hörte fröhliches metallenes Hämmern. Irgend jemand – Jimbo – pfiff vor sich hin.
Es kam ihr vor, als würde sie aus einem abgedunkelten Zuschauerraum eine Bühne betrachten; eine eigene, unwirkliche Welt breitete sich vor ihr aus – eine Welt, die von Lärm, hellem Licht, Fröhlichkeit und Gelächter erfüllt war, während sie von draußen durch die Gitter des Tors hineinspähte und in einem seltsamen Schwebezustand verharren mußte, in dem die Zeit stillstand und wo Schatten in der Dunkelheit lauerten.
Sie fühlte sich beklommen, und ihre Handflächen schwitzten. Leise öffnete sie den Riegel an der Pforte und schob sie auf,
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