Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
schwere Riegel einschnappte, hallte durch den Raum und erstarb dann. Sie hielt die Luft an, während Natalie langsam das Mittelschiff zum Altar hinaufging. Nach einigen Schritten hielt sie inne. »Joss? Komm mit mir.«
Joss zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ihre Beine zitterten heftig.
»Zieh den Teppich zurück.« Natalie stand neben dem Läufer zwischen den Chorstühlen.
Widerstrebend befolgte Joss die Anweisung. Auf dem Boden vor ihnen schimmerte das Messing im Schein der im Dachgebälk verborgenen Lampen. Von der kunstvoll verzierten Gestalt schien eine gespenstische Kälte aufzusteigen. »Sieh mal.« Natalie
deutete mit dem Zeh. Ihre Stimme war beinahe zu einem Flüstern herabgesunken. »Da sind die ganzen Symbole ihres Handwerks. Das Kreuz steht auf dem Kopf. Aber das sieht man nur, wenn man weiß, in welche Richtung sie liegt. Ob das kabbalistische Zeichen sind? Das sollten wir mal nachschlagen.«
»Sie war wirklich eine Zauberin – eine richtige Hexe und nicht nur eine arme, alte Frau, die mit Magie herumspielte«, murmelte Joss.
»Allerdings. Sie war eine richtige Hexe. Und wahrscheinlich eine sehr kluge. Vielleicht hat man sie verdächtigt, aber sie wurde nie erwischt. Sonst hätte sie niemals hier beigesetzt werden können.«
»Der König hat ihr vertraut …«
»Das glaube ich nicht.« Natalie packte die Wachsfiguren aus dem blauen Seidenschal. Joss bemerkte, daß ihre Hände heftig zitterten. »Vergiß nicht, er trug eine Rüstung.«
Nicht immer. Manchmal war er in Samt gekleidet.
Die Kälte wurde durchdringender.
»Weißt du, was wir tun müssen?« fragte Joss leise. Ihre Augen waren auf die Puppen geheftet, als der Seidenschal zu Boden fiel.
»Ich werde sie segnen, dann werde ich sie trennen und anschließend schmelzen…«
»Nein!« Joss packte Natalie am Arm. »Nein, das darfst du nicht.«
»Warum nicht?«
»Hilf ihnen! Du mußt ihnen helfen, du darfst sie nicht zerstören. Sie haben schon genug gelitten.«
»Er hat Menschen getötet, Joss.«
»Ich weiß. Ich weiß. Aber nur, weil er hier gefangen ist. Bitte – das Böse kommt von Margaret, das hast du selbst gesagt. Zerstör sie nicht. Wir müssen einen Weg finden, um ihnen zu helfen.«
Beide sahen auf die Figuren in Natalies Händen. »Und wenn er wieder jemanden tötet?«
»Wir können ihn daran hindern. Es muß eine Möglichkeit geben. Er war nicht böse.«
Augen. Blaue Augen, die verzweifelt in ihre blickten. Arme, die sie umfingen. Eiskalte Lippen auf ihrem Mund …
»Joss! Joss, was ist?«
Katherine
Die Mauer in ihrem Kopf wurde brüchig.
Er dachte, daß sie Katherine war! Sie, Joss, hatte er nicht einmal gesehen. Es war Katherine, die er im Arm gehalten, Katherine, die er geküßt, Katherine, der er Rosen gebracht hatte. Ihre Mutter, ihre Großmutter – wie viele andere Frauen in diesem Haus hatte er umworben im Glauben, sie seien seine Katherine? Jetzt zitterte auch sie unkontrollierbar. »Trenn sie nicht.« Sie machte eine beschwörende Geste. »Laß sie zusammen.«
Natalie legte ihr die Figuren in die Hand.
Schweigend beugte sich Joss und hob den Schal auf, dann wickelte sie die Puppen vorsichtig wieder darin ein.
»Sie gehören nicht hierher«, sagte sie leise.
»Nein.«
»Können wir den Einfluß bannen, den sie auf sie hat?« Joss deutete mit dem Kopf auf den Boden.
»Wir können es versuchen.« Natalie dachte nach. »Die Rituale der Kirche wirken bei ihr nicht. Wir müssen in einer Sprache mit ihr reden, die sie versteht. Wir müssen ihr Spiel spielen.«
»Zauberei?«
»Ich nenne es lieber mitfühlende Magie. Wir müssen das Band durchtrennen, das die beiden an Margaret und an diesen Ort bindet. Wir brauchen etwas, das bindet und gleichzeitig schneidet.«
»In der Sakristei.« Joss zögerte, dann legte sie das in blaue Seide gewickelte Päckchen auf eine Kirchenbank. »Ich sehe mal nach.«
Die Tür war nicht abgeschlossen. Sie schaltete das Licht an und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Alles, was zum Arrangieren des Blumenschmucks gebraucht wurde, lag auf einer Seite des Waschbeckens, die kirchlichen Gegenstände auf der anderen, neben den verschlossenen Schränken, wo James Wood Bücher und Gefäße und das ungeweihte Brot und den Wein aufbewahrte. Mit klammen Fingern durchsuchte sie die Blumenregale, schob Vasen und Blumenschwämme, Krüge und Blumendraht beiseite. Schließlich nahm sie eine Rolle dünnen Draht zur Hand und suchte nach der Zange. Da lag sie, zwischen
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