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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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von keiner der beiden Frauen und auch nicht von der schattenhaften Gestalt vor ihnen. Er kam aus der Luft, aus dem Echo, aus dem Boden unter ihren Füßen.
    Natalie zögerte, und der Draht rutschte aus der Zange.
    »Komm, zerschneid ihn!« schrie Joss. »Schnell! Jetzt!«
    Mit beiden Händen gelang es Natalie, den Draht wieder zwischen die kurzen Stahlschneiden zu schieben, dann drückte sie sie mit aller Macht zusammen. Diesmal schaffte sie es; das längere Ende des Drahts sprang zurück und fiel in Spiralen auf die Messingplatte; das kürzere wickelte sich um Joss’ Finger und die Figuren in ihrer Hand. Ihre Augen hatten sich nicht von der Gestalt gewandt. Jetzt war sie kaum drei Meter von ihnen entfernt und bewegte sich noch immer auf sie zu. »Es hat nicht geklappt«, keuchte sie. »Natalie, es hat nicht funktioniert.«
    Die Gestalt kam unaufhaltsam näher. Joss spürte die durchdringende Kälte, so eisig, daß sie kaum die Luft einatmen konnte.
    »Natalie!« Es war ein gellender Schrei. Sie drückte sich gegen die Kirchenbank und fühlte und sah, wie die Frau keinen Meter von ihr entfernt vorbeiging, über die Messingplatte schwebte, die Altarstufen hinauf, durch den Altar selbst und dann durch die Ostmauer der Kirche verschwand.
    »Guter Gott.« Joss sah auf die Figuren in ihrer Hand. Sie hatte sie so fest umklammert, daß das Wachs weich geworden war. »Ist sie weg?«
    »Sie ist weg.« Natalie ließ sich auf eine Bank sinken; sie war leichenblaß geworden.
    »Hast du es geschafft?«
    »Keine Ahnung.« Natalie beugte sich vor und legte den Kopf auf die Hände, als würde sie beten. »Ich weiß es nicht.«
    Einen Augenblick waren beide zu benommen, um etwas zu
tun, aber schließlich richtete Joss sich auf. »Gehen wir wieder ins Haus.«
    Natalie hob den Kopf. »Was willst du mit den Puppen machen? «
    »Ich glaube, wir sollten sie begraben. Zusammen. Komm, gehen wir.« Sie schob den Teppich mit der Zehenspitze über die Messingplatte zurück. »Ich mache das Licht aus. Ich will nicht hierbleiben.«
    Noch immer von Angst erfüllt, verließen sie die Kirche und schlossen die Tür hinter sich. Die Figuren, wieder in das Seidentuch gewickelt, lagen in Joss’ Hand. »Gehen wir ins Haus. Ich kann vor Kälte nicht denken. Wir müssen einen Spaten holen.«
    Sie eilten durch den heftigen Regen den Pfad hinab zur Hintertür. In der Küche legte Joss den Schal auf den Tisch. Der Geruch von Honig, den das Wachs verbreitete, erfüllte die Küche. »Was ist mit den Jungen? Georgie und Sammy. Sind sie auch weg?«
    Natalie warf sich auf einen Stuhl; sie war erschöpft. »Ich weiß es nicht.«
    »Plötzlich weißt du ja nicht mehr sehr viel.«
    »Es tut mir leid, Joss.«
    Joss rieb ihre Hände kräftig an ihrem Mantel, um wieder warm zu werden. »Nein, ich muß mich entschuldigen. Du hilfst mir, und ich bin undankbar.« Sie warf einen Blick auf das blaue Seidenbündel. »Die Armen. Ich hoffe, daß sie jetzt frei sind.« Dann schwieg sie eine Weile und kaute auf ihrer Unterlippe. »Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Ich gehe nach oben.«
    »Ich komme mit.«
    »Nein.« Joss zögerte. »Nein. Das muß ich allein machen, Natalie. Aber komm nach, sobald ich rufe, ja?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn noch nie gerufen – ich meine, heraufbeschworen. Aber ich glaube, wenn er noch da ist, wird er vielleicht kommen.« Die blauen Augen waren so sanft gewesen, so zärtlich.
    »Georgie und Sam auch, Joss. Sie kommen immer, wenn man sie ruft.«

    Die beiden Frauen tauschten einen entschlossenen Blick aus. Dann legte Joss die Wachsfiguren vorsichtig in eine Schublade der Anrichte. »Nur ein Weilchen, bis wir sie beerdigen können.« Sie atmete tief durch, faßte sichtbar allen Mut zusammen und lächelte Natalie zu. »Wünsch mir viel Glück.«

43
    U nten an der Treppe blieb sie stehen, legte die Hand auf den Pfosten des Geländers und sah hinauf. Der Treppenabsatz lag immer im Dunkeln. Selbst wenn die Sonne hell schien, drang kein Tageslicht dorthin vor. Lauschend setzte sie den Fuß auf die erste Stufe.
    »Edward!« rief sie leise. Ihre Stimme war ein kaum hörbares Krächzen. Edward, edler Herr … Eure Majestät? Wie sprach man einen König an, der seit fünfhundert Jahren tot war?
    Jeden Nerv angespannt, stieg sie langsam die Stufen hinauf und konzentrierte sich mit all ihren Sinnen auf die Leere.
    »Seid ihr da? Georgie? Sammy?«
    Oben angekommen, sah sie sich um. Der Treppenabsatz war verwaist, die Tür zu

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