Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
kleinste Aufregung könnte einem ungeborenen Baby schaden. Sie haben es dir erzählt, weil sie deinen Zuspruch wollten.«
»Ich wollte zu ihnen fahren. Aber sie wollen mich nicht bei sich haben. Sie möchten, daß ich hier bleibe.«
»Dann bleibst du hier.« Joss drückte sie enger an sich. »Sie werden es dir schon sagen, wenn sie dich brauchen.«
»Glaubst du wirklich?« Lyns Augen waren voller Tränen.
»Natürlich.«
Sie blieben eine Weile gedankenverloren vor dem Feuer sitzen. Schließlich stand Joss mit steifen Beinen auf. »Komm, jetzt machen wir Tee.«
Lyn nickte schniefend. »Ich gehe mal den jungen Mann wecken. Setz du doch inzwischen schon den Kessel auf.«
Das Päckchen von Mary Sutton war ein großer, brauner Umschlag. Lyn hatte ihn zusammen mit der Gemeindezeitung auf den Küchentisch gelegt, einem dünnen Blättchen mit einer abscheulich lilafarbenen Titelseite. Während Joss den Kessel füllte und auf den Herd stellte, wanderten ihre Augen immer wieder zu dem Kuvert. Erst als das Wasser aufgesetzt war , erlaubte sie sich, es zu öffnen. Es enthielt ein weiteres Notizbuch – mittlerweile kannte Joss die Schreibhefte ihrer Mutter; wahrscheinlich hatte sie einen ganzen Stapel davon gekauft – sowie einige Briefe und Fotos. Es waren Bilder von Sammy und Georgie, das wußte sie sofort, ohne die in Bleistift geschriebenen Namen auf der Rückseite lesen zu müssen. Es waren Schwarzweißaufnahmen aus der Schule, wie Joss vermutete; beide Jungen trugen die gleiche
Uniform, obwohl zehn Jahre zwischen den Aufnahmen lagen. Sammy war ein dunkler Typ – sie konnte seine Ähnlichkeit mit ihr erkennen –, hatte ein schmales, aufgewecktes Gesicht und runde, helle Augen; vielleicht waren sie so blau wie ihre. Georgie war blond und sah fülliger und frecher aus. Auf den Fotos waren beide jeweils ungefähr sechs. Sie betrachtete die Aufnahmen sehr lange, bevor sie Marys Begleitbrief bemerkte. »Ich dachte, Sie sollten die Fotos von meinen Buben bekommen. Die anderen Sachen habe ich neulich gefunden. Vielleicht möchten Sie sie haben.«
Das Notizbuch war vollgeschrieben mit Gedichten, Rezepten, aber auch Tagebucheinträgen, offenbar unchronologisch und unzusammenhängend. Allmählich kam Joss zu dem Schluß, daß ihre Mutter flatterhaft wie ein Schmetterling gewesen war, daß sie von einem Gedanken zum nächsten, von einer Idee zur anderen gesprungen war, von unsicheren Überlegungen zum Bedürfnis, sich irgend jemandem anzuvertrauen, wenn auch nur einem leblosen Tagebuch.
Die zwei Briefe waren an Mary adressiert. Gerührt, daß die alte Dame sich von ihnen getrennt hatte, nahm Joss sie zur Hand. Der eine war mit dem Jahr 1956 datiert.
»Passen Sie auf meinen Kleinen auf, liebste Mary. Vergessen Sie nicht, was der Arzt über seine Magenschmerzen gesagt hat. Geben Sie ihm einen Kuß von mir. Ich bin so froh zu wissen, daß er bei Ihnen im Haus Ihrer Mutter ist.
Auf dem Briefkopf stand Belheddon Hall. Warum hatte Laura es für nötig befunden, Georgie mit Mary in einem Haus im Dorf einzuquartieren?
Als Lyn mit Tom hereinkam, lächelte sie den beiden zu. »Der Tee ist gleich fertig.«
Am nächsten Morgen, noch bevor alle aufgestanden waren, erschien David mit einem weiteren Geschenk für Tom – ein wuscheliges Flußpferd in einem entsetzlichen Grün, das der kleine Junge sofort ins Herz schloß und aus irgendeinem Grund Joseph taufte. »Arimathia oder Zimmermann?« fragte David, worauf Tom mit ernstem Gesicht erwiderte: »Fußferd.«
Während alle über diese Bemerkung lachten, warf David heimlich einen prüfenden Blick auf Joss. Die Schwangerschaft schien ihr nicht zu schaden, ganz im Gegenteil. Jedesmal, wenn er sie sah, fand er sie noch schöner. Streng rief er sich zur Ordnung. »Hast du etwas geschrieben, das ich Bob zeigen kann?«
Sie nickte. »Zwei Kapitel, wie du gesagt hast. Ich habe sie gestern ausgedruckt.«
»Gut«, sagte er grinsend. »Hier ist deine Belohnung – mehr Informationen über das Haus.« Er legte eine Mappe auf den Tisch. »Ich habe herausgefunden, wer Katherine ist. Oder vielmehr war«, verbesserte er sich. »Katherine de Vere war die älteste Tochter von Robert de Vere, der in der Mitte des 15. Jahrhunderts hier lebte. Sie war mit dem Sohn eines Grafen aus der Gegend verlobt.«
Mit frohem Herzen ritt der gutaussehende junge Mann jeden Tag nach Belheddon, und Katherines Vater lachte erfreut auf. »Hier bahnt sich eine Liebesheirat an«, scherzte er gegenüber allen, die ihm
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