Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
ihn an sich. »Du muß jetzt ganz tapfer sein, wie ein großer Junge. Mummy fehlt gar nichts.« War er zu klein, um zu erfahren, was vor sich ging? Bislang hatten sie ihm kaum etwas von einem Brüderchen oder Schwesterchen erzählt. Das Baby hätte erst in zwei oder drei Wochen kommen sollen. Guter Gott, und niemand war da, um zu helfen. Mit Gewalt hielt sie die Tränen der Panik und der Frustration zurück und biß die Zähne zusammen, weil der Schmerz sie erneut überwältigte.
Endlich lockerte sich der Griff des Jungen. »Bleib bei ihm, Luke, und ich gehe wieder ins Bett. Vielleicht kannst du ihn ja beruhigen, damit er einschläft.« Sie zog sich am Gitter des Bettchens hoch und drehte sich zur Tür.
»Mummy!« Tom streckte seine Arme nach ihr aus.
»Nimm ihn, Luke.« Lange würde sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können.
Luke packte das Kind und hob es in sein Bett, worauf er nur doppelt so laut schrie.
»Ach, Liebling, nicht doch!« Joss hielt ihm eine Hand hin, aber als der Schmerz sie überflutete, trat sie zurück und krümmte sich stöhnend. Entspann dich. Gib dem Schmerz nach. Keuchend spürte sie, wie sich ihr Becken weitete.
»Geh, Joss! Geh ins Bett!« Luke versuchte, Tom zum Liegen zu zwingen. »Geh bitte. Wenn du weg bist, wird er sich beruhigen.«
Die Wehe ebbte ab, und ihr Körper konnte sich kurz erholen, bevor der nächste Kampf begann. Sie verschloß die Ohren vor Toms Schreien und schleppte sich ins Schlafzimmer.
Das Bett. Sie mußte etwas aufs Bett legen, um die dicke, alte Matraze zu schützen – eine Matraze, die im Lauf ihres Lebens schon Dutzende von Geburten erlebt haben mußte. Joss zwang sich, an praktische Dinge zu denken. Was sagten die Leute in den Filmen über Hausgeburten? Heißes Wasser und Handtücher. Jede Menge heißes Wasser und Handtücher. Heißes Wasser – Joss war sicher, daß jemand gesagt hatte, das heiße Wasser sei nur dazu da, um den Mann zu beschäftigen. Handtücher waren im Wäscheschrank, in dem riesigen alten Eichenschrank im Flur vor dem Bad. Eine Million Meilen entfernt.
»O Gott!« Der Schmerzensschrei ließ sich nicht unterdrücken. Bestimmt ging es jeden Moment los.
Sie konnte das Bett sehen, seine Pfosten und Stoffbehänge wurden plötzlich von einem Blitz erhellt. Es sah aus wie etwas Substanzloses, eine schwankende Oase mit seinen phantasievoll bestickten Vorhängen und den moosgrünen, zartroten und ockerfarbenen Blumen, die sich zusammen mit gebogenen Stielen und Ranken spiralförmig die Bettpfosten hinaufwanden. Die Vorhänge bewegten sich, bauschten sich auf, fielen in sich
zusammen, manchmal hauchdünn, durchsichtig wie leichter Dunst, dann wieder dick und schwer, die Rippen der Wollstickerei so kräftig geädert wie die Hände eines Mannes. Joss schluchzte auf. Das Bett war zu weit weg. Sie konnte sich nicht bewegen. In der tiefen Dunkelheit, die auf jeden Blitz folgte, hatte sich die große schwarze Gestalt des Bettes noch weiter von ihr entfernt. Es war außer Reichweite, jenseits einer unsichtbaren Barriere, die sie nicht überwinden konnte. Luke. Wo war Luke? Lieber Gott, bitte, hilf mir.
Und dann war er da – eine Hand auf ihrem Arm, ein sanfter Druck auf ihrer Schulter, beruhigend, schützend, und führte sie sanft durchs Zimmer. Wieder ein Blitzschlag – sie konnte nichts erkennen als die Umrisse des Stabwerks, breite scharlachrote Streifen auf ihrer Iris.
Vorsichtig tastete sie nach dem Bett, zerrte die schwere Tagesdecke mit der Stickerei herunter und ließ sie auf den Boden fallen.
»Luke – hol etwas, das ich unterlegen kann.«
Jetzt sah sie ein flackerndes Licht im Flur. Da war Luke mit dem Kerzenleuchter in der Hand. »Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Ich habe daran gedacht und schon etwas mitgebracht.« Seine Stimme klang von der Tür zu ihr herüber. Erst die Gummiunterlage von Toms Wickelkommode, dazu ein paar Handtücher, und dann half er ihr in das kühle, weiche Bett. »Warte noch, Liebes.« Seine Hand auf ihrer Stirn war heiß und nervös, ganz anders als die Hand, die kühle Hand, die sie zum Bett geführt hatte. Sie riß die Augen auf. Luke hatte die Kerze neben das Bett gestellt. Er war gerade erst ins Zimmer gekommen …
Stöhnend legte sie sich auf die Seite, als eine neuerliche Welle des Schmerzes sie erfaßte; sie krümmte sich zusammen, und mit einem Teil ihres Bewußtseins nahm sie den Duft von Rosen wahr.
»Luke!«
»Ich bin hier, Liebling. Hechle. Denk dran, sie haben gesagt, du sollst
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