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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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unbeholfen wanderte Joss nach unten und durch den großen Saal in die Küche. Luke hatte die Post ungeöffnet auf dem Tisch liegengelassen. Sie schob den Kessel auf den Herd und machte den ersten Brief auf. Er war von David. »Ein paar weitere Stücke des Puzzles«, stand da in seiner ordentlichen, kleinen Schrift. »Ich habe ein wunderbares altes Buch gefunden, in dem Belheddon mehrmals erwähnt wird.« Der Umschlag enthielt einen Packen gefalteter Fotokopien. Als das Wasser zu kochen begann, machte Joss sich eine Tasse Tee; ihre Beine waren noch so schwach, daß sie sich hinsetzte, bevor sie den Brief wieder zur Hand nahm. David fuhr fort:
    »Es wurde 1921 veröffentlicht und beschreibt ein halbes Dutzend rätselhafte und gruselige Geschichten, die alle in East Anglia passiert sind. Du hast mir doch einmal erzählt, daß John Bennet irgendwann Anfang dieses Jahrhunderts verschwunden ist? Also, der Verfasser des Buchs kennt die Geschichte. Sie ist seltsam. Sitzt du bequem? Dann lies weiter … David.«
    Joss legte den Brief beiseite und zog die gefalteten Seiten heraus, breitete die sechs Blätter vor sich aus und begann zu lesen.
    Eine der zahlreichen Legenden, die sich um das wunderschöne Belheddon Hall ranken, ein uraltes Herrenhaus inmitten sanft hügeliger Landschaft am Rande des Meeres, betrifft die Familie, die das Haus noch vor relativ kurzer Zeit bewohnte. Mary Percival erbte das Haus beim Tod ihrer Mutter im Jahre 1884; zu der Zeit war sie gerade zwanzig geworden. Allen Berichten zufolge war sie eine tatkräftige und eigenwillige junge Frau, die den Entschluß
gefaßt hatte, das riesige Gut selbst zu verwalten; sie lehnte alle Heiratsanträge ab, von denen es, wie man sich denken kann, sehr viele gab.
    Soweit wir wissen, war Mary eine attraktive Frau und sehr beliebt in der Gemeinde, und als sie schließlich ihr Herz verlor, gehörte es dem gutaussehenden Sohn eines Geistlichen aus Suffolk, der in der Stadt Manningtree, einige Meilen von Belheddon entfernt, als Anwalt praktizierte. John Bennet war ein Jahr älter als Mary, und nach ihrer Hochzeit hängte er seinen Beruf an den Nagel, um seiner Gattin bei der Verwaltung des Guts zur Seite zu stehen. Diese große Verantwortung lastete bereits wenige Monate später allein auf seinen Schultern, denn Mary erwartete ihr erstes Kind. Henry John Bennet kam im Oktober 1900 zur Welt, und zwei Jahre später folgte seine Schwester Lydia Sarah.
    Soweit man weiß, herrschte im Haus eitel Sonnenschein. Die ersten Anzeichen von Schwierigkeiten bemerkte der Pfarrer des Dorfes, ein gewisser Dr. Robert Simms. In seinen Memoiren wird Belheddon Hall mehrmals erwähnt, und mindestens zweimal wurde er gebeten, dort einen Exorzismus abzuhalten. Dr. Simms wurde im Winter 1902 ins Haus gerufen, nachdem Hausangestellte mehrfach von einer Erscheinung gesprochen hatten, die abwechselnd beschrieben wurde als Ritter in Rüstung, als Marsmensch und erstaunlicherweise auch als »Dreifuß« (vier Jahre zuvor war Mr. H. G. Wells’ Krieg der Welten veröffentlicht worden) oder als Monster, das das Ende der Welt prophezeite. Im Verlauf des nächsten Jahres konnten die Bennets keinen Hausangestellten für längere Zeit behalten. Einer nach dem anderen kündigte, und ihre Nachfolger quittierten den Dienst ebenso rasch. Nur wenige Monate später, im Frühjahr 1903, ereilte die Familie eine Tragödie. Der junge Henry John kam bei einem schrecklichen Unfall ums Leben.
    Und damit beginnt das eigentliche Rätsel. Es gibt keine Berichte über die Art oder die Gründe seines Todes. Vermutlich war es keine gewöhnliche Kinderkrankheit, die ihn dahinraffte – dagegen sprechen das Entsetzen und der Schock, die das ganze Land erfaßten.
    Joss ließ die Seiten sinken und griff nachdenklich nach ihrer Tasse. Während sie in den Tee starrte, stieg eine Erinnerung in ihr
auf. Sie saß im Dachgeschoß, draußen vor den Fenstern war der Himmel strahlend blau, und auf ihrem Schoß lag das Tagebuch von John Bennet. Die Worte packten sie jetzt wieder genauso heftig wie damals.
    Jetzt hat er also ein weiteres Opfer gefordert. Der Junge ist tot. Als nächstes bin ich an der Reihe.
    Sie wußte nicht, ob sie überhaupt noch weiterlesen wollte. Sie faltete die Blätter zusammen, steckte sie in die Hosentasche, griff nach ihrer Tasse und ging durch den großen Saal. Das Zimmer war hell, die Sonne schien durch die vom Regen befleckten Fenster und warf Lichtsprenkel auf den Boden. Von den Blumen, die sie erst gestern

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