Der Fluch von Colonsay
hätte müde gewirkt, wie er die Stufen hinunter und zur Kutsche hinüberstolperte, die ihn zum Bahnhof bringen sollte.
Meggy beäugte Alice unsicher, als ob sie sich über deren Reaktion nicht im Klaren wäre. Alice war seit dem Vorfall so still gewesen, und Meggy machte sich Sorgen deswegen. Sie wünschte sich, dass alles wieder so werden würde wie zuvor.
»Ich muss ihn zurückholen«, sagte Alice leise.
Meggy blieb das Lachen im Hals stecken. »Wie willst du das machen?«, schimpfte sie. »Jonah sagt, unser Herr will aus Bertie unbedingt einen Mann nach seinen Vorstellungen machen. Er sieht einfach nicht, dass Bertie nicht das Zeug dazu hat. Der kann oder will nicht so werden, sagt Jonah.«
Ihre Stimme verstummte, und Meggy zuckte mit den Schultern. Am besten war es wohl, Alice einfach in Ruhe zu lassen. Sie würde schon darüber hinwegkommen.
Alice aber hatte überhaupt nicht die Absicht, über die Sache hinwegzukommen. Sie schmiedete Pläne und wollte den ersten sofort in die Tat umsetzen. Meggys neugierigen Blick missachtend, verließ sie die Küche und ging auf ihr Zimmer.
Dort war es kalt, und die Luft war feucht. Die Köchin hatte ihr und Meggy erlaubt, ein kleines Feuer zu machen, aber das gab nur wenig Wärme ab. Kaum genug, um ihre Unterwäsche zu trocknen. Alice zog die rechte obere Schublade der Kommode auf, die sie sich mit Meggy teilte. Ihre Augen glitten über ihre wenigen Besitztümer, Taschentücher und den Rauchquarz. Unter Berties Brief lag versteckt der Knopf.
Sie legte ihn auf ihre Handfläche. Das Elfenbein mit der Rosenschnitzerei war von der gleichen Farbe wie Berties Gesicht, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Ihre Finger schlossen sich zur Faust. Entschlossen kniff Alice die Lippen zusammen.
Gestern in der Bibliothek hatte ihr Cosmo größere Angst eingejagt, als sie zugab. Der Boden, auf dem sie sonst so zuverlässig und sicher stand, hatte unter ihren Füßen geschwankt. Vielleicht war ihre Stellung auf Colonsay doch nicht so unantastbar, wie sie dachte. Doch trotz aller möglichen Konsequenzen wollte sie tun, was getan werden musste.
Für Bertie.
***
Colonsay hob sich als dunkler Schatten vor dem bewölkten Himmel ab. Nur aus dem seitlich gelegenen Küchenfenster fiel ein Lichtschein. Rosamund drehte ihren Schlüssel im Schloss und hörte das Klicken. Kerry musste zu Hause sein. Aus der Küche duftete es verführerisch. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Kokosmakronen, daneben lag ein Zettel, der besagte, dass Kerry zu Bett gegangen war.
Rosamund lächelte Gary über ihre Schulter an. »Kaffee?«
Er schüttelte den Kopf. »Es geht auch ohne.«
»Dir geht es gut?«
»Vielleicht weil ich etwas Bestimmtes vorhabe.«
Sie legte den Zettel hin und bot ihm Makronen an. Gary kam auf sie zu, nahm jedoch kein Gebäck. Er nahm ihr sanft den Teller aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch. Dann legte er seine Hände auf ihre Schultern und sah ihr aufmerksam ins Gesicht. Er gab ihr viel Zeit, sich abzuwenden, aber Rosamund wollte nicht. Der Kuss begann vorsichtig forschend, wurde dann fordernd und leidenschaftlich.
Gary legte einen Arm um ihre Taille, beugte sich vor und schob den anderen hinter ihren Knien vorbei. Als sie merkte, was er vorhatte, protestierte Rosamund. »Du wirst dir einen Bruch heben«, klagte sie und versuchte, nicht loszuprusten. Aber er hob sie hoch, hielt sie fest in seinen Armen. Rosamund schlang ihrerseits einen Arm um seinen Hals und ergab sich in ihr Schicksal. Gary grinste sie an.
»Du bist so schön.«
Das sagte er an diesem Abend bereits zum zweiten Mal. Sie berührte seine Lippen mit ihren Fingerspitzen und fuhr an ihren Rändern entlang. »Gary.« Was sollte sie sagen? Ich bin keine gute Partie. Ich bin Marks Frau. Ich habe so viele Probleme zu lösen. Ich bin gerade erst dabei, mich auf meine eigenen Füße zu stellen … Der Gedanke kam ihr in ihrer augenblicklichen Lage ziemlich komisch vor. Sie begann zu lachen.
»Hör auf, oder ich lasse dich fallen.«
Er trug sie zur Treppe und sah nach oben. Sein Gesichtsausdruck wurde gequält, und Rosamund versuchte sich, immer noch lachend, aus seinen Armen zu winden. »Es ist gut, mein Leibsklave. Ich werde selbst nach oben steigen.«
Sie nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her, die Treppe hinauf.
***
Ambrosine war in ihrem Schlafzimmer. Alice klopfte an und öffnete die Tür. Es war dunkel und stickig im Zimmer. Weiße Blütenköpfe schienen wie Mottengeister über dem Beistelltisch
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