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Der Fluch

Der Fluch

Titel: Der Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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das Tablett zufrieden und händigte mir schließlich den Brief aus.
    »Hier ist sie die Belohnung. Ich hoffe, der Brief muntert dich auf.«
    Auf dem Umschlag stand:
    Rose Gardner
Massachusetts General Hospital
55 Fruit Street Boston, MA 02114
4. Stock. Zimmer 411
    Er war nicht frankiert und es gab keinen Absender.
    Als ich ihn öffnete, fiel eine Karte heraus, auf der nur wenige Worte standen.
    Eine Lüge ist deine Schönheit.
Ein Fluch dein Lächeln.
Die Sanftheit deiner Stimme – einziger Betrug.
    Die Übelkeit, die plötzlich in mir hochstieg, war so heftig, dass ich es nicht mehr rechtzeitig bis zur Toilette schaffte, um mich zu übergeben.

12. Rose
    Ich halte es nicht eine Minute länger im Apartment aus. Die Vorstellung, dass jemand auf meinem Bett gelegen hat, während ich in der Badewanne war, macht mich ganz zittrig.
    Eine Lüge ist deine Schönheit.
Ein Fluch dein Lächeln.
Die Sanftheit deiner Stimme – einziger Betrug.
    Die Worte der identischen Botschaft von damals wie heute hallen in mir wider, als ich den Flur entlangrase. Das einzige Lebewesen, dem ich begegne, ist Ike. Ich weiß nicht, warum, aber sobald er mich sieht, heftet er sich an meine Fersen. Ohne mich aus den Augen zu lassen, folgt er mir ins Büro der Studienbetreuer. Dort lässt er sich neben meinem Schreibtisch nieder, als spüre er, was ich vorhabe. Ja, als wolle er mich durch seine bloße Anwesenheit moralisch unterstützen. Aber das beruhigt mich nicht. Im Gegenteil, die Panik in mir wird sogar noch größer.
    Ich habe gespürt, dass sich etwas über mir zusammenbraut. Jemand ist hier oben im Tal, der meine Geschichte kennt. Jemand, der mich verfolgt. Und jetzt hat er zugeschlagen. Jetzt habe ich den Beweis, dass ich mir nichts einbilde.
    Fahrig schalte ich den PC an, warte nervös, bis er hochgefahren ist. Ab und zu blicke ich zur Tür, aber es ist niemand zu sehen.
    Es pocht und klopft in meinem Kopf. Der Schmerz hat unmittelbar eingesetzt, nachdem ich die Botschaft gelesen habe. Ich greife nach meiner Tasche. Irgendwo müssen meine Kopfschmerztabletten sein.
    Meine Finger fliegen über die Tastatur. In der nächsten Sekunde erscheint das Startfenster der Datenbank. Das Login-Fenster öffnet sich.
    Ich gebe meinen Benutzernamen ein: Sally2009.
    Dann das Passwort: kingschapel100917 .
    Eine Liste aller Studenten erscheint alphabetisch geordnet.
    Hastig klicke ich mich ins Intranet und von dort in die Kontaktbörse der Studenten, die hier mit Namen, Herkunftsort, der Nummer des Apartments und – diese Angaben sind allerdings freiwillig – E-Mail-Adresse und Handynummer zu finden sind. Die meisten Studenten haben keine Probleme, ihre Daten zu hinterlassen.
    Wer? Wer ist hinter mir her?
    Wer hat mir diese Botschaft hinterlassen?
    Was geht hier vor sich?
    Ich überfliege die Namen der Personen am Grace, die aus Boston stammen. Die Liste enthält fast dreißig Namen.
    Zwei Namen fallen mir sofort ins Auge.
    Muriel Anderson.
    Und ziemlich am Schluss: George Tudor.
    George Tudor. Hauptfach Musik. Erstsemester.
    »Noch einen Schluck Bourbon für deine Cola?«, höre ich ihn wieder sagen.
    Bourbon. Der Drink von J. F. Der Geruch, der mir noch heute Übelkeit verursacht.
    Das kann kein Zufall sein.
    Was weiß George?
    Ein seltsames Gefühl breitet sich in mir aus. Ich habe keine Ahnung mehr, wo die Realität endet und meine Einbildung beginnt.
    Hat Professor Brandon recht? Vielleicht erzählt mir meine Fantasie einfach die falschen Geschichten.
    Ich spüre, wie Ike sich neben mir erhebt und mich ansieht, als wolle er sagen: Du bist auf einem Weg. Du musst ihn zu Ende gehen, auch wenn er in die Irre führt.
    Laut Robert ist Ike das Genie und nicht er. Denn die Fähigkeiten eines Hundes sind nicht durch den Verstand begrenzt. Im Gegenteil besitzt Ike mindestens die doppelte Anzahl von Sinnen wie wir Menschen, weshalb er mehr weiß, spürt und ahnt als wir.
    Ich schlage die Hände vors Gesicht. Es gibt Dinge, Ereignisse im Leben, Menschen, die man nie vergisst. Gerade solche nicht, wenn sie mit Trauer und Leiden verbunden sind – wie Sally. Doch andere Erlebnisse, verstörende Ereignisse, wie sie mir zugestoßen sind, muss man überstehen, ja man muss alle Energie aufwenden, sie zu überwinden, sich zu befreien aus dieser Hülle des Schmerzes, die einen lähmt.
    Ich weiß, was ich jetzt tun muss, und ich habe überhaupt keine Skrupel, obwohl so etwas nicht zu mir passt. Ohne weiteres Zögern laufe ich zum Schreibtisch von Mrs Jones und

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