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Der Fluch

Der Fluch

Titel: Der Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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öffne die erste Schublade. Sie ist leer.
    Ich gebe zu, ich habe gehofft, einen Schlüssel für den Aktenschrank zu finden, der die Studentenakten des ersten Jahrgangs enthält. Aber auf Wunder ist kein Verlass und man kann sie nicht planen. Dennoch öffne ich eine Schublade nach der anderen, doch ich stoße nur auf Büromaterialien. Dafür hat Ike wieder diesen Blick drauf, als wollte er sagen: Nicht aufgeben.
    Nicht aufgeben.
    Der Hund hat leicht reden.
    Ich schaue auf den toten Bildschirm vor mir. Als Studienbetreuer haben wir keinen Zugriff auf den offiziellen Server der Collegeverwaltung. Im Gegensatz zu den Dozenten. Bevor ich noch richtig überlege, drücke ich schon den Knopf an Mrs Jones’ PC und nicht einmal das leise summende Geräusch verursacht mir ein schlechtes Gewissen.
    Hier geht es schließlich um mein Leben, um meine Zukunft und irgendwie – um Gerechtigkeit. Es ist so etwas wie ein Krieg, den ich gegen einen Unbekannten führe, und deswegen scheint mir alles erlaubt. Auch wenn es mir im Fall von Mrs Jones besonders schwerfällt, sie zu hintergehen. Sobald Windows sich öffnet, erkenne ich auf dem Bildschirm das Logo des Servers, der natürlich den Zugangsnamen und das Passwort erfordert.
    Bei meinem ersten Versuch tippe ich: Jones.
    Das Wunder lässt mich im Stich. Also, wie ist ihr Vorname?
    Ich kann mich nicht erinnern. Aber ich besitze irgendwo ein Verzeichnis aller Dozenten am Grace. Ich laufe hinüber zu meinem Schreibtisch, als Ike plötzlich aufspringt. Er ist seltsam unruhig. Als ob er mir sagen will, beeile dich. Du hast nicht mehr viel Zeit.
    Ich sehe zur Tür, doch da ist niemand.
    Hektisch durchwühle ich meine Schubladen und kann die Liste nicht finden. Je länger ich suche, desto nervöser werde ich. Und dann fängt plötzlich das Telefon auf meinem Schreibtisch zu klingeln an.
    Es ist ein völlig normales Geräusch, nicht mal sehr laut, aber es bringt mich völlig aus der Fassung. Als könnte man mich durch den Apparat beobachten.
    Ich versuche, mich zu beruhigen.
    Erst als das Telefon aufhört zu läuten, fällt mir wieder ein, wo ich die Liste aufbewahre. Doch wieder setzt der schrille elektronische Klingelton ein und es kommt mir so vor, als sei jemand verzweifelt auf der Suche nach mir, als schlage jemand Alarm, weil er weiß, was ich vorhabe: einen fremden PC knacken und mir verbotenerweise Zugang zu vertraulichen Daten verschaffen.
    Aber ich kann darauf keine Rücksicht nehmen, nicht auf das Telefon und schon gar nicht auf meine Ängste.
    Ich muss dahinterkommen, wer mir diese Botschaft aufs Bett gelegt hat, und dazu brauche ich den Zugang.
    Die Liste befindet sich in dem Aktenordner mit dem Kursverzeichnis. Sie beinhaltet Namen des Dozenten, Telefonnummer, Raumnummer, Tag und Uhrzeit der Sprechstunde.
    Jones. Vorname Laura.
    Ike läuft unruhig vor der Tür auf und ab. Wittert er jemanden? Ich muss mich beeilen. Im nächsten Moment sitze ich wieder vor dem PC von Mrs Jones.
    Ich hole tief Luft: Langsam und konzentriert tippe ich unter dem Benutzernamen ein: Jones Laura.
    Wieder keine Reaktion.
    Jetzt habe ich nur noch eine Chance: Laura Jones.
    Kein Zugriff.
    Für den Bruchteil einer Sekunde verlässt mich jeder Mut und ich denke daran aufzugeben. Doch dann mache ich noch einen Versuch.
    Ich drehe die Tastatur um und entdecke sofort den weißen Zettel: laura.jones, darunter eine Zahlen- und Buchstabenkombination.
    Das Seltsame an einem Wunder ist: Wenn es erst einmal eingetroffen ist, dann interpretiert man es nicht mehr als Magie oder Hexerei. Nein, es scheint selbstverständlich, dass die Dinge so geschehen, wie sie geschehen.
    Mrs Jones hat ihre Zugangsdaten für jeden offen zugänglich unter die Tastatur geklebt.
    Ich logge mich ein und schon bin ich auf dem Server. Die Datenbank der Verwaltung öffnet sich automatisch.
    Innerhalb von wenigen Minuten habe ich mir einen Überblick verschafft. Hier finden sich zu jedem Studenten alle Daten, die streng vertraulich sind: Bewerbungsunterlagen, Zeugnisse, Credits, Kommentare der Dozenten – und die genaue Heimatadresse.
    Als Erstes versuche ich es mit Muriel. Wieder bemerke ich diese seltsame Übereinstimmung in den Kursen. Und noch etwas fällt mir auf. Bevor sie ans Grace kam, war sie in Harvard.
    Und ihr Hauptfach war nicht Kunst, sondern … Psychologie.
    Alles in meinem Kopf beginnt, sich zu drehen. Das kann doch kein Zufall sein.
    Das Grace gehört zu den renommiertesten Colleges in Nordamerika und Kanada – aber

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