Der Fluch
erinnern, was passiert ist. In dem Drink, den J. F. mir gemixt hat, muss etwas gewesen sein … oder vielleicht war es wirklich einfach nur zu viel Alkohol … jedenfalls sind wir zusammen in dieses Gartenhaus und irgendwann … ich muss ohnmächtig geworden sein, verstehst du, David? Und dann, als ich wieder zu mir kam …«
Wieder stocke ich und diesmal dehnt sich mein Schweigen aus. Wenn ich dieses entsetzliche Wort nicht ausspreche, ja nicht einmal denke, ist es vielleicht auch nicht passiert.
Doch merkwürdigerweise weiß David auch diesmal genau, wie er sich zu verhalten hat. Er sagt es für mich.
»Du bist vergewaltigt worden.«
Ich schlucke und nicke. Meine Stimme ist so leise, dass ich mich selbst kaum verstehe.
»Als ich aufgewacht bin, war er weg. Ich …« Wieder schweige ich.
»Und du hast ihn angezeigt.«
Stumm schüttele ich den Kopf.
David runzelt die Stirn. »Warum nicht?«
»Weil ich nicht sicher war. Und ich habe mich geschämt«, flüstere ich. »Ich dachte, es ist besser, niemand erfährt davon.«
Dieses Schweigen. Es fühlt sich haargenau an wie die drei Monate danach. Aber wie damals kann es auch jetzt nicht dabei bleiben.
»Und das hat sich geändert?«
Ich nicke.
Genau sieben Wochen und drei Tage später hatte sich alles geändert.
»Als meine Mutter davon erfahren hat, ist sie mit mir sofort zur Polizei gegangen. Und jetzt …«
»Du meinst, es kommt zum Prozess?«
Ich nicke.
»Und du hast davor Angst.«
»Was …«, flüstere ich, »was, wenn ich ihm unrecht tue, David? J. F. behauptet, ich wäre einverstanden gewesen. Sein Wort gegen meins. Vielleicht hat er ja recht damit.«
David bewegt sich. Ich kann den Unmut in seinem Gesicht erkennen. Energisch widerspricht er. »Rose, das darfst du nicht denken.«
»Aber was, wenn ich mich nur nicht mehr daran erinnern kann?«, flüstere ich.
»Was sagt dir dein Gefühl?«
Ich muss nicht lange überlegen. »Ich hätte es nie getan. Nicht freiwillig. Ich war immer noch verliebt in Matt.«
»Siehst du. Du solltest dir einfach vertrauen.« Er macht eine kurze Pause und fährt dann fort. »Das eigene Gefühl, Rose, ist nun einmal das Einzige, worauf man sich verlassen kann. Erst wenn das nicht mehr funktioniert, dann …« Er schüttelt den Kopf. »Dann ist man verloren, Rose. Dann ist nichts mehr sicher auf dieser Welt.«
David ist klug. Man muss nicht viel erklären. Er begreift schnell, was ich ihm sagen will. Er fällt kein Urteil und er bleibt sachlich. Vertraut mir. Ich fühle mich erleichtert. Und bin einfach froh, dass ich es ihm erzählt habe.
Nur es ist nicht alles.
»Ich muss dir noch etwas erzählen.«
Jetzt kommt der schwerste Teil. Aber ich habe nun einmal entschieden, die Wahrheit zu sagen.
Ich stehe auf und sehe aus dem Fenster. Hinter dem Ghost ist es noch ganz dunkel, aber in wenigen Stunden wird die Sonne aufgehen.
Meine Stimme ist ganz leise, als ich es sage. »Vor der Party, das musst du wissen, David, habe ich noch nie mit jemandem geschlafen. Und ein paar Wochen später war ich schwanger.«
Es ist fast halb vier, als ich meine Geschichte zu Ende erzählt habe. Ich lasse nichts aus, ich erzähle ihm von der Geburt, vom Krankenhaus. Warum ich mir die Haare abgeschnitten habe. Davon, wie ich ins Tal gekommen bin. Ich spreche über das, was in den letzten Tagen passiert ist, und darüber, wie sehr es mir Angst eingejagt hat. Zwischendrin hat David mir eine Decke geholt und um meine Schultern gelegt, und als er spürte, dass das nicht mehr reichte, um dem Zittern in mir Einhalt zu gebieten, hat er mich in den Arm genommen.
Er hat nichts gesagt, sondern mich einfach nur festgehalten, und merkwürdigerweise habe ich das erste Mal seit zwei Jahren die Nähe eines anderen zulassen können. Sie hat mir das geschenkt, was ich so lange vermisst habe: Trost.
Nachdem ich am Ende bin, schweigen wir wieder lange. Ich kann es nicht mehr ertragen, dieses ewige Schweigen, und durchbreche die Stille, die bereits viel zu lange gedauert hat.
»Jemand ist hinter mir her, David, und ich weiß, dass das noch nicht das Ende ist«, sage ich. »Die Botschaft auf meinem Bett. Das Facebook-Foto. Der Hinweis auf Sally. Und jetzt Muriel, die sterben musste. Was, wenn das nur der Anfang ist? Was soll ich denn jetzt tun, David?«
David verschränkt die Arme. »Du hast die falsche Frage gestellt«, sagt er ruhig. »Die Frage ist nicht, was du tun musst. Sondern was wir tun müssen.«
Ich bin nicht allein. Dieser Gedanke
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