Der Fluch
Ich …« Ich weiß nicht, wie ich den Satz beenden soll. Wie soll ich in Worte fassen, was ich da unten in diesem Loch empfunden habe?
Über seinem Gesicht schwebt ein Schatten. Er will etwas sagen, entschließt sich dann anders. Nervös fährt er sich mit der Hand über die Augen. »Ich wünschte bei Gott, ich hätte das verhindern können.«
Wie ich ist David jemand, der gerne die Verantwortung übernimmt.
»Genau das ist das Schlimmste …«, ich hole tief Luft, bevor ich weiterrede. »Ich konnte nichts tun, verstehst du? Ich habe ihre Hand gehalten und einfach gewartet.«
»Ich weiß. Aber manchmal … manchmal können wir nicht helfen, Rose.«
»Ich hätte den Sicherheitsdienst sofort alarmieren müssen.«
Er schüttelt den Kopf: »Das hätte nichts genutzt. Sie wäre gestorben, bevor sie eingetroffen wären. Aber so war sie wenigstens nicht allein. Du warst bei ihr.«
So wie David das sagt, klingt es wirklich so, als hätte ich nicht versagt. Und es wäre schön, wenn ich es glauben könnte, aber das kann ich nicht. Manchmal ist blinder Aktionismus besser, als einfach nur dazusitzen und die Dinge geschehen zu lassen.
»Hat sie noch irgendetwas gesagt?«
David stellt dieselbe Frage wie die Polizei, die ich in diesem Punkt belogen habe. Aber seine Stimme klingt nicht misstrauisch, nicht vorwurfsvoll. Ihr fehlt jeder Unterton von Verdächtigungen. Das macht es mir leichter.
»Sie hat einen Namen genannt.«
David beugt sich nach vorne. »Meinst du, den Namen ihres Mörders?«
»Nein.« Es dauert einige Sekunden, bevor ich weiterreden kann.
»Sie hat J. F. erwähnt. Und ich glaube, deswegen wollte sie mich treffen. Sie wollte mit mir über J. F. reden.«
»J. F.?« David runzelt die Stirn. »Wer ist das?«
»Ich weiß nicht, ob ich … verstehst du, es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.« Ich sehe ihn direkt an. »Ich bin nicht diejenige, für die du mich hältst, David.«
Er versucht ein Grinsen. »Und was bist du dann? Ein Monster? So eine Art Dr. Jekyll und Mr Hyde?«
Ich gebe das Lächeln nicht zurück. »So ähnlich.«
»Das bedeutet also, du bist nicht die sanfte Schönheit, für die du dich ausgibst? Sondern ein richtiger Mensch?«
»Ich habe einen Fehler gemacht, David, den ich mein Leben lang bereuen werde.«
»Ein Leben lang klingt sehr absolut.«
»Das ist es auch.«
Wir schweigen lange.
»Wir sind alle nicht perfekt«, sagt er schließlich. »Du bist nicht perfekt. Und ich schon gar nicht. Das ist unser Problem, oder?«
Ich weiß genau, was er meint. David geht es ähnlich wie mir. Und plötzlich ist da wieder diese Verbindung. Diese spezielle Vertrautheit, die seit Februar verschwunden ist, die es mir aber jetzt leicht macht, mit ihm zu sprechen. Über alles.
David ist ein Freund.
Ein echter Freund.
Und wie er mich ansieht, spüre ich, er würde bis in alle Ewigkeit hier neben mir sitzen bleiben und … ja, ewig mit mir schweigen, wenn ich es will.
»J. F. Er … es war auf einer Party.« Ich hole tief Luft. Einige Sekunden herrscht Stille im Raum, bevor ich weiterrede. »Es war seine Party, es war sein achtzehnter Geburtstag.« Noch ist mein Ton leicht. »Ich kannte ihn kaum, eigentlich war er ein Bekannter von meinem Freund Matt. Sie waren im selben Baseballteam. Matt hatte mit mir kurz zuvor Schluss gemacht.« Ich stocke einen Moment und spüre, wie mein Atem schwerer wird. Ich rede schneller, will es hinter mich bringen. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin hingegangen, weil ich Matt eifersüchtig machen wollte. Ich habe meinen kürzesten Rock angezogen und bin auf die Party, in der Absicht, mich dem Nächstbesten an den Hals zu werfen. Genau vor Matts Augen.«
David zeigt keine Reaktion. Er stellt keine Frage, sondern er sieht mich einfach nur an, mit diesen hellen sandfarbenen Augen, und das macht es mir möglich weiterzureden.
»Mein Plan ist aufgegangen. J. F. und ich … wir haben geflirtet. Heftig. Direkt vor Matts Augen. Genau das, was ich wollte. Aber dann habe ich angefangen zu trinken und …« Ich stocke und spüre, wie mein Gesicht brennt bei der Erinnerung. Ich kann es doch nicht. Ich kann einfach nicht erzählen, was passiert ist.
Ich starre auf den scheußlich braunen Linoleumboden, der in diesem Teil des Gebäudes überall verlegt ist, und wünsche, jemand könnte mir das alles abnehmen. Aber es gibt niemanden. Ich allein muss meine Geschichte erzählen.
Also schließe ich die Augen und zwinge die Worte aus mir heraus. »Ich kann mich nicht genau
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