Der Flug der Adler
Wange.
»Wie schlimm ist es?«
»Könnte schlimmer sein.«
»Krankenhaus?«
»Beweisen Sie mal ein bißchen Vertrauen. Ich bin eine wirklich gute Chirurgin. Egal, das hier ist jedenfalls nicht mehr als ein Fall für die Notaufnahme. Halten Sie jetzt kurz still, während ich es vernähe. Zehn Stiche müßten ausreichen. Sie werden eine wirklich interessante Narbe bekommen, Harry. Die Mädchen werden drauf fliegen.«
»Ach, hauen Sie doch ab«, sagte er.
»Könnte Ihnen wohl so passen. So, jetzt Klappe halten und stillsitzen.«
Eine Weile später ging die Tür auf, und Munro blickte ins Zimmer. »Darf ich reinkommen?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an, hier können Sie noch was lernen«, sagte Harry. »Grant und der Oberst haben es also zurückgeschafft?«
»Und ob sie das haben. Nach dem Auftanken sind sie gleich weiter nach London gereist. Jack ist mit ihnen geflogen. Der Oberst hat Sie in höchsten Tönen gelobt. Hat gemeint, Sie seien ein Held extraordinaire. Er will de Gaulle bitten, sie zum Chevalier der Ehrenlegion zu ernennen.«
»O nein«, stöhnte Harry.
»Halten Sie sich fest: Ich habe gerade mit Teddy West gesprochen und ihm in allen Einzelheiten von der Operation erzählt. Er hat gemeint, daß er Sie zur sofortigen Auszeichnung mit einem Streifen zu ihrem Kriegsverdienstorden vorschlägt.«
»Das wird ja immer schlimmer.«
»Er ist stolz auf Sie, Harry. In gewisser Weise waren Sie sein Schützling. Darüber hinaus ist er Ihr Freund.« Er ging zur Tür und öffnete sie. »Ich übrigens auch. Wir sind auf Ihrer Seite. Bis später.«
»Sehen Sie?« sagte Molly, als sie den letzten Stich vornahm. »Sie tun immer so, als wären Sie allein. Dem ist aber nicht so. Heute waren Max, Zec, Munro und Generalleutnant West für Sie da.«
»Und Sie.«
»Ach, das sowieso. Die arme alte Molly, die sich die tollsten Flausen in den Kopf setzt.«
Bevor er antworten konnte, ging die Tür auf, und Julie kam herein. »Wie macht sich denn unser Wunderknabe?«
»Ein paar Tropfen Morphium und zehn Stiche, und schon ist er wieder ganz der alte. Er wird zum Essen runterkommen.«
»Da ist aber ein Problem.« Harry stand auf. »Ich habe keine Ersatzuniform dabei. Das, was ich anhatte, wird ja wohl kaum noch was taugen.«
»Schauen wir mal, was wir im Vorratslager haben«, sagte Julie. »Da müßte eigentlich was dabei sein.«
Harry und Molly folgten ihr hinaus. Sie gingen den Korridor
entlang, an dessen Ende Molly eine Tür öffnete und hineintrat. Der Raum kam Harry vor wie eine Höhle aus Tausendundeinernacht: ein riesiger Tisch, auf dem ganze Reihen von Pistolen und MGs lagen; ferner Kleidungsstücke aller Art, britische und deutsche Uniformen, dazu Alltagskleider sowohl für Frauen als auch für Männer.
»Das benutzen alles die Franzosen«, sagte Julie. »Bevor unsere Agenten nach Frankreich fliegen, kleiden wir sie hier ein. Dann schauen wir mal, was wir für Piloten dahaben. Oberstleutnant der deutschen Luftwaffe. Wohl nicht ganz passend. Hier haben wir ja schon was, RAF, und scheint sogar Ihre Größe zu sein. Leider nur Hauptmann.«
»Geben Sie ihm einen hübschen bequemen Pullover und ein Paar einfache Hosen«, sagte Molly. »Ein kräftiges zweites Frühstück und zwei Gläser Rotwein, und dann stecke ich ihn sowieso wieder ins Bett.«
Julie zuckte die Achseln. »Bedienen Sie sich, Harry. Sie finden hier alles, was Sie wünschen. Unterhosen, Hemden, Schuhe und Socken.«
»Wir sehen uns in der Bibliothek.« Molly folgte Julie hinaus.
Sie gingen in die Küche, wo Julie sich daranmachte, etwas fürs Essen herzurichten.
»Kann ich helfen?« sagte Molly.
»Eigentlich nicht.« Julie schaute im Ofen nach dem Hähnchen. »Er ist nichts für Sie, ma chère «, sagte sie, ohne sich umzuwenden.
»Er ist für niemanden etwas«, sagte Molly.
»Warum sich also die Mühe machen? Seine Uhr ist bereits abgelaufen, und das ist sie schon seit langer Zeit.«
»Wir haben Krieg, Julie. Da nimmt man, was man kriegt.«
»Sie haben die Wahl, ma chère .«
»Ich habe keine Wahl, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Während des improvisierten Essens, das Julie hergezaubert hatte, war Munro die Geselligkeit in Person, eine Art freundlicher, jovialer Onkel. »Und wie geht's deinem Vater?« fragte er Molly. Er wandte sich an Harry. »Major General Sobel ist in Eisenhowers Generalstab, verantwortlich für die Zusammenarbeit zwischen
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