Der Flug der Libelle
Karin holte ihre schwimmende Probenflasche an der Leine heran, öffnete den Deckel, näherte sich dem Würstchen und suchte es mit ihrem Handschuh in die Flasche zu schieben. Aber der kle i ne weiße Klumpen wurde lebhaft und stieß einen schri l len Schrei aus. E r ä nderte seine Gestalt mehrfach und schwamm ungeschickt ihrem Zugriff davon. Karin suchte ihn zu fa n gen, aber er schwamm zu dem großen Klumpen zurück, von dem er gekommen war und grub sich in dessen Oberfläche. Damit hatte er sich mit seiner verlorenen Prot o plasmafamilie wieder vereinigt.
◊ Halt! ◊ befahl das Fremdwesen durch Karins Imp. Es bildete sich ein anderer Fortsatz; und diesmal war seine Spitze in die Probenflasche eingeführt, ehe sich der Arm abtrennte. Karin schloß schnell den Deckel, und die wurs t förmige Pr o be war eingefangen.
Karin hielt ihre Beute in der einen Hand, zog mit der a n deren an der Sicherheitsleine und glitt bald durch das eisige Wasser zurück zur Luftschleuse an der Seite der › Libelle ‹ . Während sie sich so bewegte, begann die Probe in der Fl a sche zu schreien wie ein kleines Kind, das von einem sad i stischen R oh ling lebendig gehäutet wird.
Karin betrat die Luftschleuse und wollte gerade die A u ßentür schließen, hielt aber inne. Sie hob die Probenflasche vor ihr Gesicht und beobachtete die kleine weiße Wolke da r in. Jetzt, wo sie sich nicht mehr bewegte, hörten die Schreie der kleinen weißen Wolke auf. Statt dessen kamen schwache Pfeif und Klingeltöne. Die kleine Wolke schien ihre Gestalt zu ändern und benahm sich so, als ob sie den Bereich der Flasche auskundschaften wollte, besonders das Scharnier und den Rand des Klappdeckels.
»Bist du sicher, daß der Weiße Pfeifer die Bedeutung des Wortes › Probe ‹ verstanden hat? « fragte sie ihren Imp.
»Ich habe um einen kleinen, unwichtigen Unterbestan d teil dessen gebeten, woraus der Weiße Pfeifer besteht «, sa g te Jill. »Durch unsere Diskussionen über Logik und Math e matik haben wir ein sehr präzises gemeinsames Verständnis der Ausdrücke › klein ‹ und › unwichtig ‹ entwickelt. Ich bin aufgrund seiner Antwort auch ziemlich sicher, daß es ve r standen hat, was mit › kleiner, unwichtiger Unterbestandteil dessen, woraus der Weiße Pfeifer besteht ‹ gemeint ist. «
»Ich frage deshalb, weil dieses Exemplar sich mehr wie ein Fremdwesen en miniature verhält als wie ein bloßes Stück Fleisch oder Blut. Bist du sicher, daß es eine Probe ist und kein Baby? «
»Ich will versuchen, daß herauszubekommen «, sagte Jill. »Allerdings haben wir uns bis jetzt nur über Mathematik, Logik, Physik und lokale Dinge unterhalten, die wir zusa m men beobachten konnten. In esoterischere Themen wie Ph i losophie, Physiologie und Fortpflanzung haben wir uns noch nicht vertieft. «
Karin hörte, wie die Front des Flugzeugs zu pfeifen b e gann.
»Du bist groß und weiß «, strahlte Jill dem weißen Klu m pen zu.
◊ Korrekt. ◊
»Es gibt weißes Ding in Flasche. «
◊Korrekt. ◊
»Ist kleines weißes Ding Unterteil von dir oder kleiner, dir ähnlicher Teil? «
◊ Beides ◊ , kam die verwirrende Antwort.
»Wie kann es beides sein? « fragte Karin.
»Wahrscheinlich habe ich die Frage in mehrdeutiger We i se gestellt «, antwortete Jill. »Ich will einen anderen Weg versuchen. «
»Wenn Zeit zunimmt, wird kleines weißes Ding ein and e res Du? «
◊ Nein. Zu klein. Wird gefressen. ◊
»Gut, ich vermute, das beantwortet die eine Frage. Es ist sicher kein lebensfähiges Baby wegen seiner geringen Gr ö ße, obwohl es, außer hinsichtlich der Größe, eine Miniatu r kopie des Hauptkörpers ist. Es muß eine Mindestmasse g e ben, um ein seiner selbst bewußtes Nervensystem zu besi t zen, obwohl ich keine deutliche Konzentration sehe, die auf ein Gehirn hindeuten könnte. «
»Es muß irgendwie verteilt sein «, sagte Karin. »Wie ve r mehren sie sich? «
»Ich will versuchen, das herauszufinden «, sagte Jill.
»Du bist Element, groß, intelligent und weiß. Das Laute Rote ist Element, groß, intelligent und rot. Die Menge, we l che das Laute Rot und den Weißen Pfeifer enthält, ist eine Menge, deren Elemente wie genannt werden? « fragte Jill. Es kam eine kurze gepfiffene Antwort, wie Jill sie bis dahin noch nicht gehört hatte.
»Ich will einmal annehmen, daß Antwort das kollektive Pronomen ist. Falls du keinen Einwand hast, werde ich es mit › Flouwen ‹ übersetzen – nach einem alten Wort für ›
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