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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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den Störchen und den angeblichen Unfällen entlang der Vogelroute. Ich sprach von Rajkos Tod durch die Klauen eines Bären. Ich berichtete von dem tödlichen Angriff eines Gorillas auf Philipp Böhm und beschrieb die Umstände dieser Todesfälle - und die verblüffende Übereinstimmung mit den Todesumständen von Gomun. Die Entwendung der Herzen aber erwähnte ich vorerst nicht, ebensowenig wie den Diamantenschmuggel und die Methode der Beförderung. Ich wollte das Augenmerk der Schwester lediglich auf die merkwürdigen Ähnlichkeiten lenken.
    Die Missionsschwester starrte mich aus ihren blaugrauen Augen ungläubig an. Auf das Dach hämmerte der Regen.
    »Das klingt mir sehr an den Haaren herbeigezogen. Aber gut was sind Ihre Fragen?«
    »Was wissen Sie über die Umstände von Gomuns Tod? Haben Sie die Leiche gesehen?«
    »Nein. Sie ist mehrere Kilometer von hier begraben. Gomun stammte aus einer Nomadenfamilie, die weiter im Süden umherzieht.«
    »Haben Sie etwas über den Zustand der Leiche gehört?«
    »Müssen wir wirklich darüber reden?«
    »Ja, leider. Es ist sehr wichtig.«
    »Ein Arm und ein Bein waren ausgerissen. Ihr Körper war übersät von Wunden und Rissen und hatte einen riesigen klaffenden Spalt längs durch den Brustkorb. Innen war alles zerfetzt, denn die Tiere des Dschungels hatten schon angefangen, ihre Organe aufzufressen.«
    »Was für Tiere?«
    »Wildschweine, Raubkatzen wahrscheinlich. Die Akas haben von Krallenhieben am Hals, auf den Brüsten und den Armen gesprochen. Woher soll man das wissen? Die Pygmäen haben das arme Mädchen in ihrem Lager begraben und den Ort danach für immer verlassen, wie die Tradition es vorschreibt.«
    »Keine Spuren einer Verstümmelung?«
    Schwester Pascale, die ihre Kaffeetasse mit beiden Händen festhielt, zögerte, dann schob sie die Tasse von sich, und ich bemerkte, daß ihre Hände leicht zitterten. Mit gedämpfter Stimme sagte sie: »Doch . «, und setzte nach einer Weile hinzu: »Ihr Geschlecht war aufgerissen.«
    »Meinen Sie, sie wurde vergewaltigt?«
    »Nein. Ich spreche von einer Wunde. Ihre Vagina wurde auseinandergerissen, durch Klauen oder Krallen. Und die Schamlippen waren zum größten Teil abgetrennt.«
    »War das Körperinnere intakt? Ich meine, waren noch alle Organe vorhanden?«
    »Ich sagte Ihnen doch: manche waren halb aufgefressen. Das ist alles, was ich weiß. Die arme Kleine war noch nicht einmal fünfzehn. Gott sei ihrer Seele gnädig.«
    Die Schwester verstummte, aber ich ließ nicht locker: »Was für eine Art Mädchen war Gomun?«
    »Sehr eifrig, sehr lernbegeistert. Meinen Unterricht hat sie gern besucht und war immer sehr aufmerksam. Sie hat sich von der Aka-Tradition abgewandt. Sie wollte weiter studieren, in die Stadt ziehen, unter den großen Schwarzen leben. Vor kurzem hat sie sich sogar geweigert, zu heiraten. Deshalb sind die Pygmäen fest überzeugt, die Waldgeister hätten sich an ihr gerächt. Und deshalb haben sie gestern so lang getanzt: sie wollen sich mit dem Wald versöhnen. Ich kann jetzt selber nicht länger hierbleiben, ich muß zur SCAD zurück. Es heißt, Gomun sei meinetwegen gestorben.«
    »Sie selbst scheinen aber nicht sehr verstört, Schwester.«
    Sie schnaubte. »Sie kennen den Urwald nicht«, sagte sie. »Wir leben hier ständig mit dem Tod zusammen. Er schlägt regelmäßig und blindlings zu. Vor fünf Jahren habe ich in Bagou unterrichtet, einem anderen Lager nicht weit von hier. Innerhalb von zwei Monaten waren von den hundert Einwohnern sechzig tot. Eine Tuberkuloseepidemie. Eingeschleppt von den großen Schwarzen. Früher lebten die Pygmäen in Sicherheit vor den Mikroben, sie waren geschützt durch den dichten Urwald, der sich wie eine Glasglocke über sie gestülpt hatte. Heute werden sie durch >importierte< Krankheiten dezimiert. Sie brauchen Leute wie mich, ärztliche Versorgung, Medikamente. Ich tue meine Arbeit und denke nicht weiter darüber nach.«
    »War Gomun häufig allein im Wald unterwegs? Hat sie sich vom Lager entfernt?«
    »Ja, sie war eine Einzelgängerin. Sie ist gern die Pfade entlanggegangen und hat ihre Bücher mitgenommen. Gomun liebte den Wald, seine Gerüche, seine Geräusche, seine Tiere. In dieser Hinsicht war sie eine typische Aka.«
    »Hat sie sich bei den Diamantenminen herumgetrieben?«
    »Das weiß ich nicht. Was soll diese Frage? Sie bestehen auf Ihrer Mordhypothese, wie? Aber das ist lächerlich - wer sollte einer kleinen Aka etwas zuleide tun, die noch nie aus dem

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