Der Flug der Stoerche
Dschungel herausgekommen ist?«
»Schwester Pascale, ich habe Ihnen nicht alles gesagt. Ich habe zwar Rajko Nikolitsch erwähnt, der dieses Frühjahr in Bulgarien ermordet wurde, und Philipp Böhm, der 1977 hier im Wald umgebracht wurde. Tatsächlich ist diesen Morden eines gemeinsam.«
»Und das wäre?«
»In beiden Fällen haben die Mörder das Herz des Opfers herausgetrennt, und zwar auf höchst professionelle Weise, nach einer Methode, wie sie für Transplantationen angewandt wird.«
»Aber das ist doch Unsinn. Mitten in der Wildnis ist eine solche Operation völlig undenkbar.«
Schwester Pascale ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ihre Augen funkelten kalt wie je, nur ihre Wimpern erbebten leicht.
»Es ist aber die Wahrheit. Ich habe den Arzt kennengelernt, der die Autopsie an dem Zigeuner in Bulgarien vorgenommen hat. Er hat nicht den geringsten Zweifel. Diese Mörder verfügen über kolossale Mittel und sind in der Lage, überall unter optimalen Bedingungen zu operieren.«
»Ist ihnen klar, was das heißt?«
»Ja. Ein Helikopter, Stromgeneratoren, ein Druckausgleichszelt, wahrscheinlich noch einiges andere . jedenfalls keine unüberwindbaren Schwierigkeiten.«
»Na und«, fuhr die Missionsschwester mich an. »Glauben Sie etwa, daß die kleine Gomun .«
»Ich bin mir so gut wie sicher.«
Die Schwester schüttelte den Kopf, entgegen dem Rhythmus der Regentropfen, die schwer auf dem Dach zerbarsten. Ich wandte den Blick ab und starrte durch die Türöffnung auf die Vegetation hinaus. Der Wald schien wie berauscht von der Nässe.
»Ich bin noch nicht fertig«, fing ich wieder an. »Ich habe Ihnen von dem >Unfall< erzählt, der sich 1977 im zentralafrikanischen Urwald ereignet hat. Waren Sie damals schon hier?«
»Nein, ich war in Kamerun.«
»In diesem Jahr, im August, wurde Philipp Böhm tot im Wald gefunden, ein wenig südlich von hier im Kongo. Auf dieselbe brutale Weise ermordet und zerstückelt, und das Herz war auf technisch einwandfreie Weise entfernt worden.«
»Wer war das? Ein Franzose?«
»Er war der Sohn von Max Böhm, einem Schweizer, der nicht weit von hier in den Diamantenminen gearbeitet hat; Sie haben sicherlich von ihm gehört. Man hat sich die Mühe gemacht, die Leiche des Jungen nach M’Baiki zu bringen. In der dortigen Klinik wurde eine Autopsie durchgeführt, die zu dem Ergebnis kam: >Angriff durch einen Gorilla.< Aber ich habe den Beweis, daß dieser Befund diktiert und der Totenschein manipuliert wurde. Mehrere Spuren, die eindeutig menschlicher Herkunft waren, wurden verschwiegen.«
»Wie können Sie da so sicher sein?«
»Ich habe den Autopsiearzt ausfindig gemacht. Einen Zentralafrikaner namens M’Diaye.«
Die Schwester begann zu lachen. »Aber M’Diaye ist ein landbekannter Säufer!« rief sie.
»Damals war er noch keiner.«
»Worauf wollen Sie hinaus? Was hat M’Diaye Ihnen über die angebliche Operation gesagt? Was für menschliche Spuren waren das?«
Ich beugte mich zu ihr und flüsterte: »Eine Sternotomie. Die Schnitte mit dem Skalpell gesetzt. Perfekte Durchtrennung der Arterien.«
Ich legte eine Pause ein, während der ich Schwester Pascale beobachtete. Ihre graue Gesichtshaut zuckte, und sie legte eine Hand an die Schläfe.
»Herr im Himmel ... warum verübt jemand solche Grausamkeiten?«
»Um einen anderen Menschen zu retten. Philipp Böhms Herz wurde seinem eigenen Vater implantiert. Max Böhm hatte ein paar Tage zuvor einen schweren Herzinfarkt erlitten.«
»Aber das ist doch nicht möglich ... das ist ungeheuerlich! .«
»Glauben Sie mir. Vor vier Tagen habe ich M’Diayes Aussage gehört. Sie stimmt mit dem Bericht überein, den ich in Sofia über Rajko gehört habe. Alle Fakten deuten darauf hin, daß in beiden Fällen derselbe mörderische Wahnsinn, derselbe Sadismus am Werk war. Der übrigens ein sonderbarer Sadismus ist, denn offensichtlich dient er auch dazu, Menschenleben zu retten. Gomun ist diesen Mördern zum Opfer gefallen.« Schwester Pascale stützte die Stirn in die Hand und schüttelte den Kopf. »Sie sind verrückt, Sie sind verrückt . Für Gomun haben Sie nicht den geringsten Beweis.«
»Das ist es eben. Dafür brauche ich Sie.«
Die Schwester fuhr auf und sah mich starr an. Ohne ihr Zeit für eine Antwort zu lassen, setzte ich hinzu: »Kennen Sie sich in Chirurgie aus?« Sie sah mich immer noch an, verständnislos. »Ich habe in Kriegslazaretten gearbeitet«, antwortete sie. »In Vietnam und Kambodscha. Worauf wollen Sie
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