Der Flug der Stoerche
das schlammgetränkte Kleid hing schlaff über die verwaiste Hüfte. Ich sah mich nach der nächstgelegenen Hütte um, dann packte ich die Leiche und schleppte sie unter das trockene Blätterdach.
»... du heiligtest unsere Schwester im Wasser der Taufe.
Schenke ihr das Leben der Kinder Gottes im Überfluß.
Wir bitten dich, erhöre uns .«
Ich legte den kleinen Körper im Dunkeln auf den trockenen Boden. Das Dach war so niedrig, daß ich mich nur auf Knien fortbewegen konnte. Ich sprang hinaus ins Freie, wusch mir notdürftig die Hände in einer Regenlache, packte Schwester Pascales Sack und trug ihn in die Hütte. Dort wickelte ich ihr Material aus: chirurgische Instrumente in steriler Verpackung, Gummihandschuhe, mehrere Kittel, eine Sturmlampe und merkwürdigerweise auch ein Wagenheber. Außerdem fand ich Gesichtsmasken aus grünem Papier und mehrere Flaschen Wasser. Alles war intakt. Ich legte sämtliches Material auf eine Plastikplane, wobei ich leider nicht verhindern konnte, daß mein Blick auf Gomun fiel, aus deren Mund, Augen und Nase widerliches Gewürm sickerte. Auf der Höhe des Bauches bewegte sich ihr nasses Kleid: offensichtlich wimmelte es darunter von Millionen abscheulicher Maden. Der Gestank war unerträglich.
»... Du nährtest sie mit deinem Leib,
nimm sie auf in dein Reich.
Wir bitten dich, erhöre uns ...«
Ich kroch wieder aus der Hütte. Schwester Pascale stand immer noch aufrecht da und betete fanatisch. Ich packte sie an beiden Armen und schüttelte sie heftig, um sie aus ihrer mystischen Lähmung zu befreien.
»Schwester!« brüllte ich. »Herrgott im Himmel, wachen Sie auf!«
Sie zuckte so heftig zusammen, daß sie meinem Eisengriff entschlüpfte. Allmählich faßte sie sich wieder. Nach einer Minute nickte sie leicht mit dem Kopf, und ich stützte sie, bis wir vor der Hütte waren.
Dort zündete ich die Sturmlampe an und befestigte sie an dem Geflecht aus Zweigen. Ein milchiges Licht blendete uns. Ich legte der Schwester eine Gesichtsmaske um und zog ihr den Kittel an, dann die Handschuhe. Sie zitterte nicht mehr. Ihre farblosen Augen waren auf die Leiche geheftet, und ihr Atem blähte die papierne Membran der Maske. Mit knapper Geste befahl sie mir, ihr die chirurgischen Instrumente zu bringen. Ich gehorchte. Ich hatte mir ebenfalls eine Gesichtsmaske angelegt und trug jetzt Handschuhe - nachdem ich die Leiche bereits mit bloßen Händen angefaßt hatte. Unterdessen schnitt Schwester Pascale mit der Schere das Kleid entzwei und entblößte den Rumpf.
Von neuem überkam mich ein Schwall von Übelkeit.
Der Oberkörper der kleinen Aka war eine einzige Wunde - eine Ansammlung vielfältiger, sorgfältig ausgeführter Schnitte, das Werk eines Wahnsinnigen. Eine ihrer kleinen Brüste war nahezu vollständig abgetrennt, und die gesamte rechte Seite war von der Achsel bis zur Leiste von tiefen Rissen übersät, deren Ränder schwarz und zerklüftet offenstanden wie abscheuliche Lippen. Darüber ragte der Knochen des Schultergelenks aus dem Fleisch. Und vor allem klaffte in der Mitte die lange, gerade, scharfkantige Wunde, die den Brustkorb in zwei Hälften teilte. Mit Entsetzen sah ich, wie zu beiden Seiten die Haut leise zuckte, als wäre die Brust zu einem neuen, wimmelnden, grauenhaften Leben erwacht.
Aber das alles war noch nichts im Vergleich zum Geschlecht des jungen Mädchens: die Vagina war maßlos aufgerissen fast bis zum Nabel und entblößte in der Tiefe bräunliche Windungen voller Würmer und Insekten mit glänzendem Panzer. Mir wurde schwarz vor den Augen, aber trotz allen Grauens überkam mich eine jähe Erkenntnis: ich hatte vor mir die exakte Nachbildung eines der Fotos, die ich bei Max Böhm gefunden hatte. Das Bindeglied. Das Bindeglied war immer da, eingebrannt in die Leiber der Toten und in die Finsternis. »Louis, was tun Sie denn? Geben Sie mir die Winde!« fuhr Schwester Pascale mich an; unter der Maske klang ihre Stimme dumpf. »Den Wagenheber?« stammelte ich blöde. Sie nickte. Ich gab ihr das Werkzeug, und sie legte es neben sich und befahl: »Helfen Sie mir.« Auf das Brustbein gestützt, packte sie mit beiden Händen den linken Rand des Thoraxschnitts. Mit bloßgelegten Nerven tat ich dasselbe auf der rechten Seite, und gemeinsam zogen wir, jeder nach seiner Seite. Als der Spalt weit offenstand, setzte die Schwester die Winde an und verspreizte die beiden Enden mit den Rippen. Gleich darauf begann sie die Kurbel zu drehen, und ich sah, wie der kleine
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