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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Körper sich öffnete und sein Inneres freigab.
    »Wasser!« schrie sie. Ich reichte ihr eine der Flaschen, und sie leerte einen Liter Wasser in den Körper. Eine Flut von kleinen Tieren wurde herausgeschwemmt. Ohne zu zögern, tauchte Schwester Pascale beide Hände in die Leiche und nahm die Überreste der Organe auseinander. Ich wandte den Blick ab. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie noch mehr Wasser nachgoß, dann bat sie mich, die Lampe besser einzustellen. Tief fuhr sie mit der Hand in den Brustraum der Toten und beugte sich nieder, um besser zu sehen, bis ihr Gesicht fast die Leiche berührte. Ein paar Sekunden lang wühlte sie darin herum, dann richtete sie sich jäh auf und stieß mit dem Ellenbogen die Winde heraus. Sofort schlossen sich die beiden Teile des Brustkorbs wie die Flügel eines Skarabäus.
    Von krampfartigen Zuckungen geschüttelt, wich die Schwester zurück. Sie riß sich die Handschuhe ab und die Maske vom Gesicht. Ihre Haut war trocken wie die einer Schlange. Sie starrte mich an mit ihren grauen Augen und murmelte: »Sie hatten recht, Louis. Das Mädchen ist operiert worden. Ihr Herz fehlt.«

40
     
    Um fünf Uhr nachmittags waren wir wieder auf der Lichtung von Zoko. Der Tag ging zu Ende. Nachdem wir unsere Regenhäute und triefenden Schuhe abgelegt hatten, machte sich Schwester Pascale wortlos daran, Tee und Kaffee zu kochen. Auf meine Bitte hin erklärte sie sich bereit, einen Totenschein auszustellen, den ich sofort einsteckte und sicher verwahrte. Als Beweismaterial würde er nicht viel wert sein - Schwester Pascale war schließlich keine Ärztin. Aber er war immerhin eine Zeugenaussage, abgegeben nach bestem Wissen und Gewissen.
    »Schwester Pascale«, fragte ich dann, »wären Sie bereit, mir noch ein paar Fragen zu beantworten?«
    »Nämlich?«
    Sie hatte ihre Ruhe wiedergefunden. Ich holte tief Atem und begann: »Wie viele Hubschrauber gibt es in Zentralafrika, die in der Lage sind, hier, mitten im Dschungel, zu landen?«
    »Nur einen einzigen. Er gehört Otto Kiefer; das ist das Individuum, das die Sicamine leitet.«
    »Halten Sie die Leute von dieser Mine für fähig, eine solche Tat zu begehen?«
    »Nein. Gomun wurde von Profis operiert. Die Leute von der Sicamine sind grobe, barbarische Tölpel.«
    »Glauben Sie aber, daß sie Beihilfe hätten leisten können, und zwar durch finanzielle Unterstützung?«
    »Ja, vielleicht. Skrupel haben sie jedenfalls keine. Dieser Kiefer sollte längst im Gefängnis sitzen. Aber was hätte er für ein Motiv? Warum sollte irgend jemand mitten im Dschungel ein kleines Pygmäen-Mädchen überfallen? Und warum unter solchen Umständen? Warum hat man ihren Körper derart verstümmelt?«
    »Das ist meine nächste Frage. Gibt es eine Möglichkeit, das HLA-System der Bewohner von Zoko herauszufinden?«
    Schwester Pascale heftete ihre stahlgrauen Augen auf mich. »Die Gewebetypen, meinen Sie?«
    »Genau.«
    Die Missionsschwester zögerte, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann murmelte sie: »O mein Gott .«
    »Antworten Sie bitte. Gibt es diese Möglichkeit?«
    »Nun ja. Ja ...«
    Sie stand auf. »Kommen Sie mit«, sagte sie.
    Sie nahm eine elektrische Taschenlampe und ging zur Tür. Ich folgte ihr. Draußen war die Nacht hereingebrochen, aber der Regen wurde um keinen Deut schwächer. In der Ferne war das Surren eines Generators zu hören. Schwester Pascale holte einen Schlüsselbund hervor und schloß die Verbindungstür zur Klinik auf. Wir traten ein. In dem Raum, der nicht größer als vier mal sechs Meter war, herrschte ein intensiver Geruch nach Desinfektionsmitteln. An der linken Wand standen zwei Betten im Dunkeln.
    In der Mitte waren verschiedene Untersuchungsgeräte aufgebaut, Mikroskope, ein Elektrokardiograph, eine Kabine mit einem Röntgenapparat. Rechts stand ein Computer auf einem Campingtisch zwischen einem Kabelgewirr und weiteren hellgrauen Elektronikkästen. Als der Lichtstrahl über den Informatikkomplex wanderte, traute ich meinen Augen nicht: man war hier mit modernster Technik und einer kolossalen Speicherkapazität ausgestattet; so gab es mehrere CD-ROM-Laufwerke, einen Scanner, aber besonders erstaunlich an diesem Ort war das Funktelefon, das an den Computer angeschlossen war. Von ihrer Urwaldhütte aus konnte Schwester Pascale mit der ganzen Welt in Verbindung treten. Der Gegensatz zwischen diesem Raum aus Rohbeton mitten im Dschungel und den hochkomplexen Instrumenten hätte nicht krasser sein können. Offensichtlich

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