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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Augenhöhlen wahr, finstere Löcher, in denen schwefelgelb die Augen funkelten. Das einzige, was in diesem Gesicht deutlich hervortrat, waren die Lippen, blau und trocken auf der haarlosen Haut; wenn sie sich öffneten, gaben sie ein geschwollenes, noch dunkleres Zahnfleisch frei, und diese schwärzliche Höhle war mit einem unvollständigen gelblichen Gebiß bestückt. Dieses Greuel war es, das mich ansprach.
    »Haste ‘ne Kippe?«
    »Nein.«
    »Dreckskerl. Was steckste deine Fresse hier rein?«
    »Ich . ich muß Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    Kiefer stieß ein krächzendes, speicheltriefendes Gelächter aus. Ein bräunliches Rinnsal floß auf sein Hemd herab, aber er achtete nicht darauf. Mühsam fing er wieder an: »Ah, dann weiß ich, wer du bist. Der Trottel, der seit Wochen seine Scheiße in unsere Angelegenheiten streut. Eigentlich solltest du auf der anderen Seite sein, im Sudan.«
    »Ich mußte meine Pläne ändern. Ich wurde zu vorhersehbar.«
    »Und bist hierhergekommen, um den alten Kiefer aufzustöbern, wie?«
    Ich antwortete nicht. Unauffällig schaltete ich meinen kleinen Recorder ein. Kiefers Atem pfiff hohl und röchelnd, während der Speichel brodelte - ein Klang wie der Todeslaut eines Insekts, das in einem Tümpel ertrinkt. Sekunden vergingen. Dann fing Kiefer wieder an: »Was willste wissen, Junge?«
    »Alles«, antwortete ich.
    »Und wie käm’ ich dazu, dir das zu sagen?«
    In gleichgültigem Ton antwortete ich: »Weil du ein hartgesottener Bursche bist, Kiefer. Und wie alle deiner Sorte hältst du dich an bestimmte Regeln. Die Regeln des Kampfes, des Siegers. Ich habe in Sofia einen Mann umgebracht, einen Bulgaren. Er hat für Böhm gearbeitet. Einen zweiten habe ich in Israel umgelegt, Miklos Sikoff, ebenfalls einen eurer Schergen. In M’Baiki habe ich mir M’Diaye vorgenommen und aus ihm rausgeprügelt, was du ihm vor fünfzehn Jahren in den Autopsiebericht diktiert hast. Dann habe ich Clement die Zähne eingeschlagen und dich hier aufgespürt, Kiefer. Ich habe in jeder Hinsicht gewonnen. Ich weiß Bescheid über euren Trick, euren Diamantenschmuggel mit Hilfe von Störchen. Ich weiß auch, daß ihr die Steine sucht, die seit April verschwunden sind. Ich weiß, wie euer Ring organisiert war. Ich weiß, daß ihr Ido Gabbor in Israel umgebracht habt, weil er euch auf die Schliche gekommen ist. Ich weiß ziemlich viel, Kiefer. Und jetzt habe ich dich im Visier. Mit deinem Diamantengeschäft ist’s aus und vorbei. Max Böhm ist tot, und du krepierst auch bald. Ich habe gewonnen, Kiefer, und deswegen wirst du reden.«
    Hinter den Tüllvorhängen pfiff es rhythmisch, und in der Dunkelheit hätte man meinen können, daß Kiefer schlief. Oder daß er im Gegenteil auf der Lauer lag wie eine zischende, übelwollende Schlange. Endlich aber flüsterte er: »Gut. Machen wir also ein Abkommen.«
    Auch gelähmt und zerfressen von der Krankheit und im Angesicht meiner Waffe, spielte Kiefer immer noch das Stehaufmännchen und verkündete seine Trümpfe. Hinter seinem gallenbitteren Ton erkannte ich einen leichten slawischen Akzent.
    »Wenn du schon so schlau bist, weißt du sicher auch, wie man mich hierzulande nennt, nämlich >Granatenotto<. Ich habe hier neben mir, unter der Bettdecke, eine Handgranate, die jederzeit explodieren kann. Such’s dir aus. Entweder ich erzähl’ dir, was du hören willst, und du knallst mich danach ab, als Zeichen deiner Dankbarkeit. Oder du hast nicht den Mumm dazu, dann spreng’ ich uns beide in die Luft. Jetzt gleich. Du bietest mir eine prächtige Gelegenheit, Schluß zu machen, Junge. Allein ist’s nur halb so gut.«
    Ich schluckte. Kiefers teuflische Logik ging mir auf die Nerven. Wieso wollte er ein paar Tage vor seinem Tod mit Hilfe eines anderen Selbstmord begehen? Konnte er das nicht allein? »Ich höre, Kiefer«, sagte ich. »Und meine Hand wird nicht zittern, wenn’s soweit ist.«
    Der Zombie grinste. Schwärzlicher Schleim tropfte von seinen Lippen.
    »Sehr gut«, sagte er. »Also halt dich fest. Geschichten wie diese wirst du nicht alle Tage hören. Angefangen hat es in den siebziger Jahren. Ich war Bokassas Handlanger. Es gab ziemlich viel zu tun damals. Von den Dieben bis zu den Ministern, alle kriegten ihr Fett ab. Ich erledigte meine miesen Jobs und bekam meinen Anteil. Kein schlechtes Leben. Aber Bokassa drehte komplett durch und wollte immer mehr, und die Sache ging schief .
    Im Frühjahr 1977 gab mir Bokassa einen neuen Auftrag: ich sollte Max

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