Der Flug der Stoerche
Hab’ ich nie erfahren. Es war aber klar, daß er und Böhm sich seit Ewigkeiten kannten, daß der Schweizer ihn auch schon im Dschungel getroffen hatte, wahrscheinlich bei früheren Expeditionen. Er schrie Zeter und Mordio auf seiner Bahre. Er flehte den Doktor an, ihn zu retten, irgendwas zu tun, er wollte nicht sterben. Dann fing es an, nach Scheiße zu stinken, - Böhm hatte sich die Hosen vollgeschissen. Ich hatte den Kerl noch nie ausstehen können, aber ihn so zu sehen, das gab mir den Rest, das kannst du mir glauben. So eine Schweinerei. Wir waren verdammt harte Burschen. Weiße Afrikaner. Aber der Wald machte uns allmählich den Garaus. Jedenfalls beugt sich dieser Doktor über ihn und flüstert: >Bist du zu allem bereit, Max. Wirklich zu allem?< Mit sanfter Stimme. Wie direkt irgendeinem Illustriertenbericht über die High-Society entstiegen. Böhm packt ihn am Kragen und sagt leise: >Rette mich, Doc. Du weißt sehr genau, was bei mir nicht hinhaut. Also rette mich. Jetzt kannst du zeigen, wozu du imstande bist. Wir haben Diamanten. Ein Riesenvermögen. Dort oben, ein Stück weit im Norden, stecken sie in der Erde.< Es war schon verrückt. Die beiden redeten miteinander, als hätten sie sich erst am Tag vorher voneinander verabschiedet. Aber vor allem redete Böhm mit dem anderen wie mit einem Herzchirurgen. Man stelle sich das vor, ein Herzspezialist mitten im Dschungel.«
Kiefer brach ab. Langsam drang das Tageslicht ins Zimmer, und das zerrüttete Gesicht des Tschechen wurde in all seinem Schrecken sichtbar. Das schwarze Zahnfleisch glänzte feucht, und die spitzen Backenknochen traten so stark hervor, daß sie aussahen, als könnten sie jeden Moment die darüberliegende Haut durchstoßen. Auf einmal empfand ich Mitleid mit dem Granatenmörder: kein Mensch auf der Welt, nicht einmal ein Schwein wie Kiefer, verdiente ein derartiges Ende.
»Daraufhin wandte der Arzt sich an mich«, fing der wieder an. »Er sagt: >Ich werde ihn operieren müssen.< >Hier?< frage ich. >Sind Sie irr oder was?< - >Wir haben keine andere Wahl, Herr Kiefer<, sagt er. >Helfen Sie mir, ihn hineinzutragen.< Und auf einmal fällt mir auf, daß er meinen Namen weiß. Daß er uns alle drei kennt. Sogar van Dötten. Wir tragen Böhm also ins Haus und in einen großen gekachelten Raum. Es gab dort eine Art Klimaanlage, die ziemlich laut dröhnte. Es sah zwar aus wie ein Operationssaal. Steril und alles. Aber irgendwie herrschte ein leichter Blutgeruch, ganz fern zwar, aber spürbar, und mir wurde es fast schlecht.«
Was Kiefer da beschrieb, war das Schlachthaus von Böhms Fotografien. Nach und nach paßten die Teile zusammen. Ich wankte unter dem Schock und tastete nach einem Stuhl, um mich zu setzen. Kiefer grinste. »Geht’s dir schlecht, Junge?« fragte er hämisch. »Jetzt schon? Dann halt dich fest, denn wir sind erst bei der Vorspeise. Im ersten sterilen Raum mußten wir uns duschen und umziehen. Dann gingen wir in einen anderen Raum, in dem ein Operationsblock stand, abgetrennt durch eine Glasscheibe. Mit zwei Tischen aus Metall, Nickel. Auf den einen legten wir Böhm. Der Doktor war völlig gelassen und freundlich, und Böhm hatte sich anscheinend beruhigt. Nach einer Weile kehrten wir in den ersten Raum zurück, wo der Sohn auf uns wartete. Der Arzt sprach stinkfreundlich auf ihn ein: >Ich werde dich brauchen, mein Junge. Um deinen Papa zu heilen, muß ich dir ein bißchen Blut abnehmen. Aber keine Sorge, du wirst absolut nichts spüren.< Dann dreht er sich zu mir um und sagt: >Lassen Sie uns allein, Kiefer. Diese Operation ist eine heikle Sache, und ich muß die Patienten vorbereiten.< Ich bin gegangen. Mit rauchendem Schädel. Ich kannte mich wirklich nicht mehr aus. Draußen goß es aus Eimern. Van Dötten stand herum und zitterte an allen Gliedern, mir war auch nicht großartig zumute. Stunden vergingen. Endlich, um zwei Uhr morgens, kam der Doktor wieder raus. Von oben bis unten voll Blut. Sah ziemlich fertig aus, mit geschwollenen Adern auf der Stirn und bleich wie eine Leiche. Bei seinem Anblick dachte ich: Böhm ist tot. Aber dann fängt der Kerl widerlich zu grinsen an, und seine himmelblauen Augen glänzen, und er sagt: >Max Böhm ist außer Gefahr.< Dann fügt er hinzu: >Aber den Sohn konnte ich leider nicht retten. < Ich bin fürchterlich erschrocken. Van Dötten hielt sich den Kopf und sagte in einem fort: >O mein Gott, o mein Gott . < Ich schrie ihn an: >Was soll das heißen, du gottverdammtes Arschloch, was
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