Der Flug der Stoerche
Raum hinter einem weißen Vorhang und unterzog mich einem strengen Verhör nach allen Regeln. Eine Frau in Uniform überhäufte mich mit englischen Fragen, immer denselben, einmal in einer Reihenfolge, dann in einer anderen. »Warum kommen Sie nach Israel?« - »Wen wollen Sie besuchen?« - »Was haben Sie hier vor?« - »Waren Sie schon einmal hier?« - »Was haben Sie mitgebracht?« - »Kennen Sie hier jemanden?« ... Mein Fall war problematisch. Die Frau glaubte mir meine Storchengeschichte nicht - sie wußte nicht, daß Israel auf der Wanderroute der Zugvögel lag. Außerdem besaß ich keine Rückfahrkarte. »Wieso sind Sie über die Türkei eingereist?« fragte sie, zunehmend nervös. »Auf welchem Weg wollen Sie wieder ausreisen?« hakte eine andere nach, die zur Verstärkung hinzugekommen war.
Nach drei Stunden emsiger Durchsuchung und unermüdlichen Fragens durfte ich den Zoll passieren und israelisches Staatsgebiet betreten. Ich wechselte fünfhundert Dollar in Schekel und mietete einen Wagen, ein kleines RoverModell; wieder einmal waren mir Böhms Vouchers sehr nützlich, und ich pries seine Voraussicht. Die Angestellte der Firma beschrieb mir genau die Strecke, der ich folgen mußte, um nach Bet She’an zu gelangen, und riet mir dringend von allen Abweichungen ab. »Wissen Sie«, sagte sie, »es ist gefährlich, mit israelischen Nummernschildern durch die besetzten Gebiete zu fahren. Die palästinensischen Kinder werfen sofort mit Steinen und greifen Sie an.« Ich dankte der Frau für ihre Fürsorglichkeit und versprach ihr, mich streng an die Route zu halten.
Fern vom kühlen Meereswind war die Hitze erdrückend. Der Parkplatz lag in grellem Licht, und in der morgendlichen Helligkeit schien alles ringsum zu Stein erstarrt. Bewaffnete Soldaten in Tarnanzügen, ausgerüstet mit schweren Helmen, Sprechfunkgeräten und Munition, patrouillierten auf den Bürgersteigen. Ich zeigte meinen Mietvertrag für einen Wagen vor, woraufhin ich den Fahrzeugpark betreten durfte und meinen Rover bald gefunden hatte. Das Steuer glühte, die Sitze nicht minder. Ich schloß die Fenster und setzte die Klimaanlage in Gang. In einem französischen Reiseführer sah ich mir meine Fahrtroute an. Haifa liegt im Westen, Bet She’an im Osten, ein wenig südlicher, nahe der jordanischen Grenze: ich mußte also ganz Galiläa durchqueren, eine Strecke von etwa hundert Kilometern. Galiläa ... Unter anderen Umständen hätte der Name mich in lange Träumereien versinken lassen, hätte ich den Zauber dieser legendären Orte, dieser mythischen Erde, der Wiege der Bibel, ausgiebig genossen.
Ich fuhr los in Richtung Südosten.
Max Böhm hatte mir die Namen zweier Kontaktpersonen genannt: Ido Gabbor, ein junger Ornithologe, der im Kibbuz von Newe-Eitan nahe Bet She’an verletzte Störche versorgte, und Josse Lenfeld, Direktor der Nature Protection Society, einer riesigen Laboranlage in der Nähe des Flughafens Ben- Gurion.
Die Landschaft ringsum wechselte zwischen der Dürre der Wüste und der künstlichen Gastlichkeit aus dem Boden gestampfter Städte. Von Zeit zu Zeit entdeckte ich einen Hirten mit seinen Kamelen, in der gleißenden Helligkeit verschmolz sein brauner Kaftan mit dem Fell der Tiere. Dann wieder kam ich an hellen, modernen Siedlungen vorbei, deren grelles Weiß in den Augen schmerzte. Einstweilen konnte ich der Landschaft noch keinen Reiz abgewinnen. Was mich viel mehr verblüffte, war das Licht: gleißend, rein und vibrierend, kam es mir vor wie ein gewaltiger Atem, der das ganze Land in Brand setzte und auf einem hohen Schmelzpunkt hielt, weißglühend und bebend.
Gegen Mittag hielt ich an einer Garküche. Ich setzte mich in den Schatten, trank Tee, aß kleine, sehr süße Pfannkuchen und versuchte mehrmals, Gabbor zu erreichen, aber ohne Erfolg. Um halb zwei beschloß ich, weiterzufahren und mein Glück vor Ort zu versuchen.
Eine Stunde später erreichte ich die Kibbuzim von Bet She’an. Drei Dörfer in makelloser Ordnung umringten weitläufige bebaute Felder. In meinem Führer war von den Kibbuzim ausführlich die Rede; sie wurden definiert als >planmäßige, kollektive ländliche Siedlungen, begründet auf den gemeinschaftlichen Besitz der Produktionsmittel und die gemeinschaftliche Sicherstellung des Lebensunterhalts, wobei der Lohn in keiner direkten Verbindung zur geleisteten Arbeit steht, und das Kapitel schloß mit den Worten: >Die landwirtschaftliche Technik des Kibbuz wird aufgrund ihrer Effizienz
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