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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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überall in der Welt gerühmt, bewundert und studierte Mehr oder weniger aufs Geratewohl fuhr ich die grünen Anbauflächen entlang.
    Schließlich fand ich den Kibbuz Newe-Eitan. Ich erkannte ihn an seinen fishponds, den Fischteichen, in deren brackiger Oberfläche hier und dort die Sonne aufblitzte. Es war drei Uhr nachmittags. Die Hitze war ungebrochen. Ich fuhr in ein Dorf, das aus weißen, exakt aneinandergereihten Häusern bestand, Blumenbeete schmückten die Straßen. Hinter den Hecken war ab und zu das künstliche Blau eines Schwimmbeckens zu sehen. Aber alles war menschenleer, ohne eine lebende Seele. Nicht einmal ein Hund überquerte die Gassen.
    Ich beschloß, zu den Fischteichen zu fahren, und bog in einen Feldweg ein, der an einem engen Tal entlangführte. In der Tiefe schimmerte das dunkle Wasser, Männer und Frauen arbeiteten in der prallen Sonne. Zu Fuß ging ich den Abhang hinunter. Der bittere und sinnliche Geruch der Fische schlug mir entgegen, durchsetzt mit dem Aschedunst ausgedörrter Bäume. Ein ohrenbetäubender Motorenlärm erfüllte das Tal: ein Traktor; zwei Männer luden Kästen voller Fische auf den Anhänger.
    »Schalom!« rief ich, freundlich lächelnd. Die Männer fixierten mich mit ihren hellen Augen und sagten kein Wort. Der eine trug am Gürtel ein Lederetui, aus dem der braune Kolben eines Revolvers ragte. Ich stellte mich auf englisch vor und fragte, ob ihnen Ido Gabbor bekannt sei. Daraufhin wurden ihre Mienen noch abweisender, und der Bewaffnete faßte mit der rechten Hand an den Gürtel. Kein Wort fiel. Brüllend, um den Lärm des Traktors zu übertönen, erklärte ich den Grund meines Besuchs.
    Ich sei sehr an Störchen interessiert, ich hätte dreitausend Kilometer zurückgelegt, um sie hier zu beobachten, und wolle von Ido zu ihren Refugien geführt werden. Die Männer sahen einander an, immer noch stumm.
    Endlich hob der Unbewaffnete die Hand und zeigte auf eine Frau, die zweihundert Meter weiter am Ufer eines Teichs arbeitete. Ich dankte ihnen und ging auf die Gestalt zu; im Rücken spürte ich den Blick der beiden, der mir folgte wie das Zielfernrohr eines Scharfschützengewehrs.
    Ich trat näher und sagte wieder: »Schalom.« Die Frau richtete sich auf.
    Sie war jung, um die Dreißig, und groß - über einen Meter fünfundsiebzig -, schmal und knochig, wie ein in der Sonne ausgedörrter Lederriemen. Ihre langen blonden Haare flatterten um ihr kantiges, mürrisches Gesicht, und sie sah mich voller Furcht und Verachtung an. Die Farbe ihrer Augen hätte ich nicht bestimmen können, aber der Schwung der Brauen verlieh ihnen einen flirrenden Glanz - es war das Glitzern der Sonne auf dem Rücken der Wellen, das helle Funkeln des Wassers aus den großen Steinkrügen, die an lauen Abenden die Erde tränken. Sie trug Gummistiefel und ein lehmverschmiertes T-Shirt.
    »Was wollen Sie?« fragte sie auf englisch. Ich wiederholte meine Storchengeschichte und meinen Wunsch, Ido kennenzulernen. Jäh wandte sie sich ab und machte sich wieder an ihre Arbeit, wortlos tauchte sie ein schweres Netz in das dunkle Wasser. Ihre Bewegungen waren abgehackt, linkisch - ihre Gestalt ließ mich an das Knochengerüst eines Vogels denken und jagte mir einen Schauder über den ganzen Körper. Ich wartete ein paar Sekunden, dann fragte ich: »Was ist los?« Die Frau richtete sich wieder auf, dann sagte sie, diesmal auf französisch: »Ido ist tot.«
    Die Route der Störche war eine einzige Blutspur. Mit zugeschnürter Kehle stotterte ich: »Tot? Seit wann?«
    »Seit ungefähr vier Monaten. Als die Störche zurückgekehrt sind.«
    »Wie ist das passiert?«
    »Er ist umgebracht worden. Ich will nicht darüber reden.«
    »Das tut mir sehr leid. Waren Sie seine Frau?«
    »Seine Schwester.«
    Die Frau bückte sich erneut und folgte den Fischen mit ihrem Netz. Ido Gabbor war also kurz nach Rajko ermordet worden. Noch eine Leiche. Noch ein Rätsel. Und die Gewißheit, daß der Zug der Störche eine Fahrt zur Hölle war. Ohne Rückkehr. Ich sah die Israelin an, die schweigend vor sich hin arbeitete, das Haar vom Wind zerzaust. Nach einer Weile aber hielt sie inne und fragte: »Sie wollen die Störche sehen?«
    »Hm, also ...« Inmitten dieses Leichenfelds war mein Ansinnen lächerlich geworden. »Na ja, ich würde gern, ja .«
    »Ido hat sich um die Störche gekümmert.«
    »Ich weiß, deshalb .«
    »Sie kommen abends. Dort drüben, auf der anderen Seite der Hügel.« Sie blickte zum Horizont, dann murmelte sie:

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