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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Windschutzscheibe des Cockpits aussortierten.«
    Wilm legte das eine Tütchen mit einem Etikett in hebräischen Buchstaben auf den Tisch. Es enthielt winzige Teilchen von getöntem Glas.
    »Außerdem sammelten wir auch die Splitter des Visiers am Helm.« Er legte die zweite Tüte, die hellere Glasstücke enthielt, neben die erste. »Der Pilot hatte unfaßbares Glück, daß er überlebt hat.«
    Die ganze Zeit über hatte Wilm seine andere Hand zur Faust geballt.
    »Aber als ich diese letzte Sorte von Bruchstücken unter dem Mikroskop untersuchte, entdeckte ich etwas anderes.« Immer noch hielt er die Hand geschlossen. »Etwas, dessen Vorhandensein an diesem Fundort absolut außergewöhnlich war.«
    Mit einem jähen Adrenalinstoß begriff ich auf einmal, was Wilm mir da ankündigte. Trotzdem brüllte ich ihn an: »Was denn, in Gottes Namen?!«
    Behutsam öffnete Wilm die Hand und flüsterte: »Einen Diamanten.«

22
     
    Völlig erschöpft verließ ich Lenfelds Labor. Schalom Wüms Enthüllungen führten mich geradewegs zu einer Schlußfolgerung, die ich bis dahin selbst aus meiner Phantasie verdrängt hatte.
    Max Böhm hatte also Diamanten geschmuggelt, und die Störche waren seine Kuriere.
    Seine Methode war außergewöhnlich, verblüffend und nahezu unfehlbar. Ich wußte nun genug darüber, um mir vorstellen zu können, wie sie funktionierte. Dumaz’ Informationen zufolge hatte der alte Max zweimal auf diesem Gebiet gearbeitet - in Südafrika von 1969 bis 1972 und in Zentralafrika von 1972 bis 1977. Gleichzeitig hatte er die Wanderung der Störche, die eine ideale Flugverbindung nach Europa darstellte, genau beobachtet und studiert. Wann war er auf die Idee verfallen, die Vögel als Transportmittel einzusetzen? Schwer zu sagen; jedenfalls hatte er sein Netz bereits organisiert, als er 1977 die Zentralafrikanische Republik verließ - zumindest die Westroute. Er brauchte nur ein paar Komplizen in Zentralafrika, die hinter dem Rücken der Minenleitung die schönsten Diamanten abzweigten und gegen Ende des Winters an den Beinen der beringten Störche befestigten. Dann >verflüchtigten< sich die Edelsteine und passierten völlig ungehindert alle Grenzen.
    Danach war es Böhm ein leichtes, die Diamanten einzusammeln. Er hatte die Nummern der Ringe und kannte das Nest jedes Storches in der Schweiz, in Belgien, den Niederlanden, Polen und Deutschland. Also ging er auf die Jagd, angeblich um die Jungstörche zu beringen, in Wahrheit aber betäubte er die erwachsenen Tiere und nahm die Diamanten an sich. Gewiß, das System hatte Schwachstellen - ein verunglückter Storch bedeutete einen Verlust. Aber angesichts der ungeheuren Anzahl von Kurieren - mehrere hundert Vögel in jedem Jahr - war der Gewinn immer noch erheblich und das Risiko, entdeckt zu werden, fast gleich Null. Die Ornithologie war eine perfekte Tarnung. Außerdem hatte Böhm im Lauf der Jahre wahrscheinlich seine >Truppen< verbessert und vorzugsweise die kräftigsten und erfahrensten Vögel für die Aufgabe herangezogen. Als weitere Vorsichtsmaßnahme hatte er Wachposten entlang der Flugroute engagiert, die sich vergewisserten, daß die Wanderung wie geplant verlief. So war der Diamantenhandel im Osten wie im Westen mehr als zehn Jahre lang reibungslos vonstatten gegangen.
    Jetzt wurde mir noch einiges andere klar. In Anbetracht der außerordentlichen Fracht - etliche Millionen Schweizer Franken mit jeder Wanderung - war es verständlich, daß Böhm die Nerven verloren hatte, als im Frühling dieses Jahres die Störche aus dem Osten nicht zurückgekehrt waren. Er hatte zunächst die beiden Bulgaren auf ihre Fährte gesetzt: sie hatten Joro Grybinski ausgefragt und für harmlos befunden, dann Ido, der sehr viel verdächtiger war - und sie hatten ihn ermordet und in den Sümpfen liegenlassen.
    Nach dem, was Sarah erzählt hatte, war es eindeutig, daß der junge Ornithologe dem Diamantenhandel auf die Spur gekommen war. Wahrscheinlich hatte er eines Abends einen von Böhms Störchen versorgt und aus purem Zufall entdeckt, was sich in seinem Ring befand: ein Diamant. Er hatte das System durchschaut und von Reichtümern geträumt; er hatte sich Gewehre zugelegt, allabendlich in den Sümpfen die beringten Störche erschossen und ihre Fracht an sich genommen; er hatte sie erschießen müssen, um höhere Gewalt vorzutäuschen, irgendeine Katastrophe, der die Störche zum Opfer gefallen seien - anderenfalls hätte er die Schmuggler allzu leicht auf seine Spur gebracht;

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