Der Flug der Stoerche
ich selbst seit Beginn der Unterredung gekrümmt vor ihm stand - und schlug mir vor, mit ihm Mittag essen zu gehen. Ich war gern einverstanden - von Isaak konnte ich sicherlich eine Menge erfahren. Und Sarah war über alle Berge. Ich wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht und folgte dem Diamantschleifer durch das Labyrinth der Gassen.
Nach einer Weile kamen wir zu einem kleinen Platz im Schutz einer dichten Laube. Unter diesem kühlen Dach standen die Tische eines Restaurants. Ringsum tobte das Bazarleben, die Verkäufer priesen laut ihre Waren an, eilige Passanten drängten sich durch die Menge. Entlang den blaßgrünen Hausmauern öffneten sich weitere Läden wie Schlünde im Schatten, auch sie voller Menschen, so daß der ohnehin lebhafte Mittelpunkt von einem noch bewegteren Kranz umgeben war. Isaak bahnte sich einen Weg durch die Leute und fand einen freien Tisch. Unmittelbar neben mir fiel mich ein ekelerregender Blutgeruch an, und ich sah, daß neben stinkenden Käfigen und einer Wolke aus Federn ein Mann systematisch Hunderten von Hühnern den Kopf abhackte. Das Blut floß in Strömen. Neben dem Metzger stand ein hünenhafter, ganz in Schwarz gekleideter Rabbiner und betete halblaut unter fortwährenden Verbeugungen, die Tora in der Hand.
Isaak lächelte. »Sie scheinen mit der jüdischen Welt nicht sehr vertraut zu sein, junger Mann. Wissen Sie, was koscher bedeutet? Unsere gesamte Nahrung wird auf diese Weise gesegnet. Aber erzählen Sie mir lieber Ihre Geschichte.«
»Ich kann Ihnen nichts sagen«, antwortete ich. »Die Frau, die Sie gestern aufgesucht hat, ist in Gefahr. Ich bin selber in Gefahr. Die ganze Geschichte wird allen, die sich darin verwickeln lassen, äußerst gefährlich. Vertrauen Sie mir, bitte, beantworten Sie meine Fragen und halten Sie sich von allem anderen fern.«
»Lieben Sie diese junge Person?«
»Damit hätte ich nicht angefangen. Aber gut, ja, sagen wir, daß ich sie liebe. Wahnsinnig. Sagen wir, daß es um eine Liebesgeschichte geht, voller Chaos, Gefühl und Gewalt. Gefällt Ihnen das?«
Isaak lächelte wieder und bestellte für sich das Tagesgericht. Mir hingegen hatte das Hühnerblut den Appetit verschlagen, und ich begnügte mich mit Tee.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Isaak Knicklevitz.
»Erzählen Sie mir von dem Diamanten des Mädchens.«
»Ein wunderschöner Stein. Nicht sehr groß - bloß ein paar Karat -, aber von außergewöhnlicher Reinheit und Weiße. Wissen Sie, der Wert eines Diamanten wird immer nach vier Kriterien beurteilt, die unveränderlich sind: Gewicht, Reinheit, Farbe und Form. Der Diamant Ihrer Freundin ist vollkommen farblos und von makelloser Reinheit. Nicht einmal der winzigste Einschluß, gar nichts. Ein Wunder.«
»Wenn Sie aber glauben, daß er aus einer obskuren Quelle stammt, wieso haben Sie ihn dann gekauft?«
Isaaks Miene hellte sich auf »Weil das mein Beruf ist!« rief er. »Ich bin Diamantschleifer. Seit über vierzig Jahren schneide, spalte, poliere ich Edelsteine. Der Stein, von dem wir reden, ist eine echte Herausforderung für einen wie mich. Für die Schönheit eines Diamanten ist die Arbeit des Schleifers entscheidend. Ein falscher Schnitt, und alles ist verdorben, der Schatz nichts mehr wert. Im Gegensatz dazu kann ein gelungener Schliff den Wert eines Steins um ein Vielfaches erhöhen, ihn reicher und edler machen. Als ich diesen Diamanten gesehen habe, war mir sofort klar, daß der Himmel mir eine einmalige Gelegenheit gesandt hat, ein Meisterwerk zustande zu bringen.«
»Wieviel ist ein Stein dieser Qualität vor dem Schleifen wert?«
»Das ist keine Frage des Geldes«, antwortete Isaak pikiert.
»Antworten Sie mir bitte. Ich versteh’ nichts von Diamanten und muß mir eine Vorstellung davon machen können.«
»Schwer zu sagen. Fünf- bis sechstausend amerikanische Dollar vielleicht.«
Ich dachte an Böhms Störche, die in Scharen über den Himmel zogen, beladen mit einer unendlich wertvollen Fracht.
Jedes Jahr waren sie nach Europa zurückgekehrt und hatten ihre Nester auf Hausdächern in Deutschland, Belgien, der Schweiz bezogen. Millionen von Dollar in jedem Frühjahr.
»Haben Sie eine Vorstellung, woher ein Diamant wie dieser stammen könnte?«
»Das ganze Jahr über ziehen die schönsten Rohdiamanten, in kleine Papiere gefaltet, durch die Börsen. Keiner wüßte zu sagen, wo sie herkommen. Nicht einmal, ob sie aus der Erde oder aus dem Wasser stammen. Ein Diamant ist vollkommen anonym.«
»Ein
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