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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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aber es hatte ihm nichts genutzt. Das war im Frühjahr 1991 gewesen. Danach konnte zweierlei geschehen sein: entweder hatte Ido unter der Folter geredet und den Bulgaren das Versteck der Diamanten verraten, oder er hatte geschwiegen, und der >Schatz< lag noch irgendwo verborgen. Die zweite Version hielt ich für wahrscheinlicher - weshalb sonst hätte Max Böhm mich auf die Suche nach den Störchen geschickt?
    Aber der Diamantenschmuggel an Storchenbeinen erklärte nicht alles. Seit wann ging das schon so? Wer waren Max Böhms Komplizen in Afrika? Welche Rolle spielte Monde Unicjue in dem Netz? Und vor allem: was hatte die Diamantenaffäre mit dem abscheulichen Diebstahl von Rajkos Herz zu tun? Hatten die beiden Bulgaren auch Rajko getötet? War einer von ihnen der virtuose Chirurg, von dem Milan Djuric gesprochen hatte? Und hinter all diesen Fragen blieb ein Rätsel, das mich persönlich anging: Warum hatte Max Böhm ausgerechnet mich mit der Aufgabe betraut? Warum mich, der ich weder etwas über Störche wußte noch dem Schmugglerring angehörte, sondern vielmehr im schlimmsten Fall den Schmuggel aufdecken konnte?
    Mit Höchstgeschwindigkeit fuhr ich zurück nach Bet She’an. Gegen sieben Uhr abends durchquerte ich die Wüste in den besetzten Gebieten und erkannte in der Ferne die Militärlager an den Blinklichtern auf den Hügeln. In der Umgebung von Nablus wurde ich abermals von einer Militärstreife aufgehalten. Der Diamant, den Wilm mir gegeben hatte, steckte, in ein Papier gefaltet, tief in meiner Hosentasche, die Glock 21 lag unter der Fußmatte. Ich gab wiederum meine Storchengeschichte zum besten, und schließlich ließ man mich passieren.
    Gegen zehn Uhr tauchte endlich Bet She’an vor mir auf. Die Luft war erfüllt von den Gerüchen der Nacht - sie nährten diese merkwürdige Sehnsucht, die am Grund der Dämmerung herrscht, wenn das Licht des Tages erlischt. Ich stellte den Wagen ab und ging zu Sarahs Haus. Es brannte kein Licht. Als ich anklopfte, öffnete die Tür sich von selbst. Ich zog meine Pistole und lud durch - der Reflex des Schießens lernt sich schnell -, ich betrat das Wohnzimmer, aber dort war niemand, das ganze Haus war leer. Ich stürzte hinaus in den Garten und hob die Plane über dem Waffenversteck, dann die Falltür und sah, daß eine Galil und die Glock 17 fehlten. Sarah war fort. Verschwunden auf ihre Weise. Bewaffnet wie ein marschierender Soldat. Leise wie ein Vogel der Nacht.

23
     
    Wie am Vortag wachte ich um drei Uhr morgens auf; ich war auf Sarahs Bett zusammengesunken und hatte in sämtlichen Kleidern geschlafen. Es war der 6. September, in den Kibbuz kam Leben. Ich stand auf und ging hinaus und mischte mich in der violetten Dunkelheit unter die Männer und Frauen auf dem Weg zu den Fischteichen, um sie über Sarahs Verbleib auszufragen, aber meine Fragen trugen mir nur feindselige Blicke und ausweichende Antworten ein.
    Ich versuchte mein Glück bei den birdwatchers, die ebenfalls sehr früh aufstanden, um noch vor dem Morgengrauen das Erwachen der Vögel zu beobachten. Um vier Uhr morgens waren sie schon aufbruchbereit, prüften ihre Ausrüstung und beluden sich mit Filmen und Proviant für den Tag. An jeder Haustür, die offenstand, riskierte ich ein paar Fragen auf englisch. Nach mehreren vergeblichen Versuchen fand ich einen jungen Holländer, der Sarah anhand meiner Beschreibung erkannte. Er habe sie am Tag zuvor gegen acht Uhr morgens in Newe-Eitan gesehen, bestätigte er mir. Sie sei in den Bus 133 nach Westen, Netanya, gestiegen, und ihm sei aufgefallen, daß sie einen Golfsack bei sich gehabt habe.
    Fünf Sekunden später war ich unterwegs und fuhr mit durchgedrücktem Gaspedal in Richtung Westen. Um fünf Uhr waren die Ebenen von Galiläa schon überflutet vom frühmorgendlichen Licht. Ich hielt an einer Raststätte in der Nähe von Cäsarea, um aufzutanken. Bei einer Tasse schwarzem Tee blätterte ich in meinem Reiseführer, um etwas über Netanya zu erfahren, Sarahs vermutliches Ziel, und beinahe ließ ich die heiße Tasse aus der Hand fallen, als ich las: >Netanya. 107 200 Einwohner. Der Badeort, für seine schönen Sandstrände und seine ruhige Lage berühmt, ist auch ein bedeutendes Industriezentrum, spezialisiert auf Diamantschleiferei. Im Viertel um die Herzl-Straße kann man den Schleifern und Polierern bei der Arbeit zusehen .. .<
    Ich sprang wieder in den Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Sarah wußte also Bescheid. Zweifellos besaß sie

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