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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Maschine der Air Afrique ging. Ich reservierte einen Flug erster Klasse - immer noch auf Kosten von Max Böhm.
    Der Schraubstock meines Schicksals wurde abermals um eine Umdrehung enger. Wieder war ich allein. Unterwegs zum lodernden Kern des Geheimnisses - und der glühenden Asche meiner eigenen Vergangenheit.

IV
URWALD

29
     
    Am Abend des 13. September, als sich im Flughafen Charles- de-Gaulle unter dem Schild Air Afrique die Glastüren öffneten, wurde mir klar, daß ich den schwarzen Kontinent bereits betreten hatte. Hochgewachsene Frauen schritten stolz in grellbunten Umhängen einher, tiefernste schwarze Herren in zu engen Diplomatenanzügen bewachten ihre Pappkoffer, turbanbekrönte Hünen im hellen Burnus, den Holzstab in der Hand, warteten geduldig unter den Abfluganzeigen. Viele Flüge nach Afrika gehen nachts - und an diesem Abend standen endlose Schlangen vor den Schaltern.
    Ich gab mein Gepäck auf und fuhr mit der Rolltreppe hinauf in die Wartehalle. Während des Tages hatte ich meine Ausrüstung vervollständigt. Ich hatte mir einen kleinen wasserdichten Rucksack zugelegt, einen Umhang aus Wachstuch, denn in der Zentralafrikanischen Republik erwartete mich die Regenzeit, einen dünnen Baumwollschlafsack, Wanderschuhe aus einem synthetischen Material, das sehr rasch trocknete, sowie ein imposantes Sägemesser. Für den Fall eines unvorhergesehenen Feldlagers hatte ich mir ferner ein leichtes Zelt für ein bis zwei Personen beschafft und meine Reiseapotheke mit Insektenschutzmitteln und Medikamenten gegen Sumpffieber und Durchfall aufgefüllt ... Dann war mir eingefallen, daß ein Notproviant überlebenswichtig sein könnte, und hatte Mandelriegel, Getreideflocken und ein paar Dosen mit Fertiggerichten eingepackt, die mich vor Affenbraten oder Antilopen am Spieß bewahren sollten ... Und schließlich hatte ich ein Diktiergerät und etliche Kassetten mit je zwei Stunden Spieldauer mitgenommen, um die Ergebnisse eventueller Interviews festhalten zu können.
    Gegen dreiundzwanzig Uhr gingen wir an Bord. Die Maschine war halb leer und die erste Klasse mit ausschließlich männlichen Passagieren besetzt. Ich stellte fest, daß ich der einzige Weiße war: Zentralafrika war offensichtlich kein Reiseland. Unter lebhaften Diskussionen in einer unbekannten Sprache voller gutturaler Silben und hoher Falsettlaute nahmen die Schwarzen ihre Plätze ein. Ich vermutete, daß sie sich auf Sango unterhielten, der Nationalsprache in Zentralafrika. Manchmal sprachen sie auch französisch, ein rauhes, unebenes Französisch mit hart und ausgiebig gerolltem r. Ich war sofort begeistert von dieser unerwarteten Artikulation: zum erstenmal hörte ich eine Sprache, die durch Klänge und Klangfarben genausoviel ausdrückte wie durch die Bedeutung ihrer Wörter.
    Um Mitternacht hob die DC 10 ab. Meine Sitznachbarn öffneten ihre Diplomatenkoffer und holten Gin- und Whiskyflaschen hervor. Sie boten mir ein Glas an, aber ich lehnte dankend ab. Die Nacht draußen verbreitete ein strahlendes Leuchten - wir waren wie von einem sonderbaren Lichtschimmer umgeben. Ich starrte aus dem Fenster und ließ mich durch die Reden der Umsitzenden sanft in den Schlaf wiegen.
    Um zwei Uhr morgens landeten wir zu einem Zwischenhalt in N’Djamena im Tschad. Durch das Fenster konnte ich nur ein kaum beleuchtetes Gebäude unbestimmter Größe am Ende der Landebahn erkennen. Durch die offene Tür strömte die Hitze ins Flugzeug, scharf und gierig, wie ausgehungert. Draußen schwebten weißliche Gestalten durch die Dunkelheit, und mit einemmal war wieder alles finster. Wir hoben ab. N’Djamena war so flüchtig gewesen wie ein Traum.
    Um fünf Uhr wachte ich jäh auf. Über den Wolken schien das Tageslicht, eine graue, flimmernde Helligkeit, mit einer metallischen Lasur überzogen, die glänzte wie Quecksilber. In einem Winkel von achtzig Grad stürzte die Maschine sich mitten durch die Wolken, und wir durchquerten Schichten von Schwarz, Blau und Grau, die uns fast völlig in Finsternis tauchten.
    Und auf einmal erschien Afrika.
    Endlos erstreckte sich der Wald vor unseren Augen, ein smaragdgrüner Ozean, eine weite, wogende Fläche, einförmig zuerst, dann immer detaillierter, je näher wir kamen. Nach und nach tauchten helle Flecken und Schattierungen im dunklen Grün auf, ich erkannte stachlig gesträubte Mähnen, schäumende Kämme, brodelnde Kronen. Die Flüsse waren gelb, die Erde blutrot, und die Baumwipfel ragten zitternd wie Speerspitzen in die

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