Der Flug der Stoerche
afrikanischen Erde. Ich meldete mich im Empfangsbüro an. Eine dicke Frau entschloß sich, mich über einen offenen Gang aus unebenen, roh behauenen Bohlen zum Direktor zu begleiten. Hüftschwingend ging sie mir voraus.
Jean-Claude Bonafe war ein kleiner, feister Weißer gut über Fünfzig. Er trug ein himmelblaues Hemd und eine helle Leinenhose. Auf den ersten Blick unterschied ihn nichts von einem beliebigen französischen Unternehmenschef. Nichts - bis auf ein irrsinniges Funkeln in seinem Blick. Der Mann schien von innen heraus verwüstet, ausgezehrt von einem Sturm verrückter Gelächter und qualvoller Vorstellungen. Seine Augen glitzerten wie Glas, und seine Zähne, lang und abgeschrägt, ruhten in fortwährendem Grinsen auf der Unterlippe. Aber er gab sich nicht geschlagen, noch hatten die Tropen ihn nicht besiegt, und er kämpfte gegen die hier herrschende Regellosigkeit und Zersetzung mit Details an, mit kleinen kostbaren Noten der Zivilisation und mit Pariser Parfüm.
»Ich bin wirklich entzückt, Sie kennenzulernen«, bestürmte er mich. »Ich habe mich bereits eingehend mit Ihrem Projekt befaßt und einen vertrauenswürdigen Führer auf getan, den Vetter eines meiner Angestellten, der aus Lobaye stammt.«
Er nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, einem gewaltigen Block aus rohem Holz, auf dem vereinzelte afrikanische Statuen aufragten, und wies mit sorgfältig manikürter Hand auf eine Landkarte von Zentralafrika, die hinter ihm an der Wand hing.
»Tatsächlich«, begann er, »ist der Süden der bekannteste Teil der Zentralafrikanischen Republik. Weil hier die Hauptstadt liegt. Weil hier der tropische Regenwald beginnt, die Quelle sämtlicher Reichtümer. Und auch das Territorium der M’Baka, der wahren Herren von Zentralafrika - Bokassa gehörte zu diesem Stamm. Die Gegend, für die Sie sich interessieren, liegt noch tiefer, in der äußersten Südspitze jenseits von M’Baiki.« Bonafe zeigte auf eine riesige grüne Fläche ohne eine Spur von Straßen, Pisten oder Dörfern. Nichts, nur Grün. Wald ohne Ende.
»Hier«, fuhr er fort, »befindet sich unsere Mine. Genau oberhalb des Kongo. Im Territorium der Aka-Pygmäen. Die >großen Schwarzen< gehen nie dorthin. Sie sterben vor Angst.«
Auf einmal sah ich ein klares Bild vor mir: Kiefer, der Herr der Finsternis, war dort unten besser geschützt als durch eine ganze Armee. Die Bäume, die Tiere, die Legenden waren seine Wächter. Ich zog meine Weste aus, denn in dem Raum herrschte eine brutale Hitze, die Klimaanlage funktionierte nicht. Ich sah, daß auch Bonafes Hemd dunkle Schweißflecken hatte.
»Ich hingegen bin ganz verrückt nach den Pygmäen«, fuhr er fort, zunehmend exaltiert. »Sie sind ein ganz außergewöhnliches Volk, voller Lebenslust und Geheimnissen. Aber der Wald ist noch außergewöhnlicher.«
In seinen Augen stand Entzücken, und vor Seligkeit öffneten sich seine flaschenscherbenähnlichen Zähne. »Wissen Sie denn, wie diese Welt funktioniert, Monsieur Antioche? Der Regenwald schöpft sein Leben aus dem Licht. Einem Licht, das äußerst spärlich durch das Blätterdach hereintropft.« Mit seinen Wurstfingern bildete Bonafe ein Dach, dann senkte er die Stimme, als vertraute er mir ein Geheimnis an: »Aber es braucht nur ein Baum umzustürzen, und zack! - fällt durch das Loch die Sonne herein. Die Pflanzen fangen die Strahlen auf und wachsen wie rasend, so daß sie die Lücke sofort wieder auffüllen! Es ist phantastisch! Und der umgestürzte Baum auf dem Boden düngt die Erde und bildet die Nahrung für eine neue Generation! Und immer so weiter! Der Regenwald ist phänomenal, Monsieur Antioche! Eine Welt, die vor Leben wimmelt und alles verschlingt! Ein Universum für sich, mit eigenen Rhythmen, eigenen Regeln und eigenen Bewohnern! Wissen Sie, daß dort Tausende von Spezies leben, Tausende verschiedener Arten von Pflanzen und Tieren, mit und ohne Wirbel?«
Ich sah ihn an, sein groteskes wächsernes, feucht schimmerndes Gesicht zwischen herabhängenden Schultern, seine Exaltiertheit, und dachte, daß er vergeblich kämpfte: die Apathie der Tropen zwang ihn dennoch in die Knie und ließ ihn dahinschmelzen.
»Ist der Wald ... gefährlich?« fragte ich.
Bonafe stieß ein kurzes Lachen aus. »Du lieber Himmel ... ja«, antwortete er. »Es ist ziemlich gefährlich dort. Vor allem die Insekten. Die meisten sind mit Krankheitskeimen infiziert. Bestimmte Mücken übertragen Sumpffieberarten, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt
Weitere Kostenlose Bücher