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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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morgendliche Kühle. Alles war lebendig, leuchtend, scharf. Manchmal unterbrachen ruhigere, gelassenere Töne die jubelnde Fülle, Gestade der Erholung, die etwas von der Trägheit eines Seerosenteichs oder der Beschaulichkeit einer Weidefläche hatten. Dann erschienen Hütten, winzig klein, mitten im Dschungel. Ich stellte mir die Menschen vor, die dort unten lebten und in diese üppige Welt gehörten. Ich stellte mir das Leben in einer solchen Umgebung vor, die metallischen Morgen, wenn die Schreie und Pfiffe der Waldtiere in den Ohren klingen, die Erde unter den Füßen einsinkt und der Abdruck langsam wieder zerfällt. Während des ganzen Landemanövers verharrte ich starr vor Staunen.
    Ich weiß nicht, wo genau der Wendekreis des Krebses verläuft, aber als ich ausstieg, wußte ich, daß ich ihn überschritten hatte und jetzt dem Äquator nahe war. Die Luft war ein Feuersturm und der Himmel von einer gleichförmigen, unendlich klaren Helligkeit, durch die Regengüsse am frühen Morgen reingewaschen für den Tag. Und eine Explosion betäubender Düfte brach über mich herein, manche träge und schwer, andere scharf und zäh - sie strömten von überallher und vereinigten sich zu einer seitsamen Mischung, einem Überschwang aus Leben und Tod, Blüte und Fäulnis.
    Die Ankunftshalle war nichts als ein roher Betonblock ohne jede Dekoration. Und in der Mitte standen zwei kleine hölzerne Tische, hinter denen bewaffnete Soldaten thronten und Pässe und Impfzeugnisse prüften. Danach kam der Zoll: ein langes Rollband, zur Zeit außer Betrieb, auf dem jeder seine Koffer öffnen mußte (meine Glock war noch immer, in Einzelteile zerlegt, auf meine beiden Taschen verteilt). Der Soldat zeichnete ein Kreuz mit feuchter Kreide auf mein Gepäck und ließ mich passieren. Dann stand ich draußen, inmitten einer Horde kreischender Familien, die ihre Geschwister oder Vettern empfingen. Die Feuchtigkeit nahm noch mehr zu, und ich hatte das Gefühl, in einen endlosen Schwamm einzudringen.
    »Wohin willst du, Chef?«
    Ein großer Schwarzer mit hartem Grinsen trat mir in den Weg. Er bot mir seine Dienste an. Ohne nachzudenken, vielleicht aus Provokation, sagte ich: »Sicamine. Bring mich zum selben Hotel wie immer.« Der Name der Mine - von mir nur ein Bluff - wirkte wie ein Sesam-öffne-dich. Der Mann pfiff auf zwei Fingern und rief eine Meute kleiner Jungen herbei, die sich um mein Gepäck rissen. Immerfort wiederholte er: »Sicamine, Sicamine«, um ihnen Beine zu machen. Eine Minute später saß ich in einem staubigen gelben Taxi, das über die Schlaglöcher holperte, und war unterwegs nach Bangui.
    Bangui hatte nichts von einer Stadt. Es war ein langes Dorf, zusammengewürfelt aus allem möglichen Plunder. Die Häuser bestanden aus Stroh und Lehm mit Dächern aus Wellblech, die Straße aus gestampfter Erde; über diese scharlachfarbene Piste zog ein Strom von Menschen, und unter dem schmierigen Himmel fiel mir die Dualität der afrikanischen Farben auf. Schwarz und Rot. Fleisch und Erde. Der morgendliche Regen hatte den Boden getränkt, und die Fahrbahn war übersät von glitzernden Pfützen. Die Männer trugen Polohemden und Sandalen, durchaus elegant; mit ihrem lässigen Gang schritten sie tapfer der aufkommenden Hitze entgegen. Aber es waren vor allem Frauen unterwegs. Lange, emporgereckte Blumenstengel in stolzer Haltung, verehrungswürdig schön, trugen sie ihre Bündel auf dem Kopf wie Blüten ihre Blätter, den Hals in anmutigem Schwung geneigt. Ihre Gesichter strahlten Sanftheit und Entschlossenheit aus, und ihre langen, nackten Füße, oben dunkel, die Sohlen hell, waren von betörender Sinnlichkeit. Diese schmalen, feinen und ungezähmten Gestalten unter einem apokalyptischen Himmel waren der schönste Anblick, den ich je betrachtet hatte.
    »Sicamine, da steckt viel Geld drin!« scherzte mein Führer, der vorn neben dem Fahrer saß, und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Ich lächelte und nickte. Unterdessen waren wir vor einem Hotel der Novotel-Kette angelangt, einem grau verputzten Gebäude mit Holzbalkonen unter gewaltigen Bäumen. Ich gab dem jungen Schwarzen seinen Lohn in französischen Francs und betrat das Hotel, nahm mir ein Zimmer, das ich für eine Nacht im voraus bezahlte, und wechselte fünftausend französische Francs in CFA-Francs - genug, um meine Expedition in den Wald zu organisieren. Man führte mich zu meinem Zimmer. Es lag im Erdgeschoß und ging auf einen großen Innenhof hinaus, in dem

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