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Der Fluss

Der Fluss

Titel: Der Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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nichts als einem Messer – in der Wildnis überleben kann. Ich habe eine Menge Notizen gemacht, die ich mitnehmen und für die Ausbildung an wenden kann. Ich glaube, du irrst dich.«
    »Aber so funktioniert es nicht«, beharrte Brian. »Es geht niemals so glatt und leicht. Man lässt sich nicht ein fliegen und an einem idyllischen See absetzen, um Nah rung und Obdach und alles vorzufinden. All das geht nicht so leicht. Es ist – unwirklich.«
    Derek lehnte sich zurück. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah Brian an.
    »Hier gibt es keine Schwierigkeiten, nichts geht schief. In einer echten Überlebenssituation, wie ich sie damals erlebte, ging alles schief, einfach alles. Das Flugzeug lan dete nicht, um mich am Ufer abzusetzen. Es stürzte ab und zerschellte. Ein Mann kam ums Leben. Ich war ver letzt. Ich wusste nichts – überhaupt nichts. Ich war dem Tode nah, auch wenn ich’s nicht wusste. Hier aber sitzen wir und sagen: Hoppla, da ist ja ein Fisch. Hoppla, da sind noch Waldbeeren.«
    »Die Spannung«, murmelte Derek. »Was fehlt, ist die Spannung.«
    »Vielleicht.« Brian nickte. »Aber das ist nicht alles. Ich glaube nicht, dass man lehren kann, was ihr lehren
    wollt.«
    »Aber das tun wir doch. Wir lehren das Überleben.«
    »Nein. Ich glaube, ihr sagt den Leuten, was sie tun sol len und vielleicht könnt ihr ihnen sogar zeigen, was wir hier tun. Aber das bedeutet nicht, dass ihr ihnen sagen könnt, wie sie überleben. Wie sie es machen sollen. Ihr müsstet jeden Einzelnen hierher bringen und in den See werfen und zuschauen, wie er ans Ufer schwimmt und sich an Land schleppt und dann zu leben versucht. Nur so könntet ihr sie lehren, wie man es macht. Jeden Ein zelnen.«
    »Aber das ist unmöglich.«
    Brian nickte. »Genau. Trotzdem glaube ich nicht, dass es anders geht. Ihr könnt es ihnen erzählen – aber ihr könnt sie nicht wirklich lehren.«
    »Die Spannung«, sagte Derek noch einmal. Er beugte sich über sein Notizbuch und schrieb es auf. »Was man braucht, ist die Spannung, die durch eine Notlage er zeugt wird.«
    Den Rest des Tages hockten sie im Lager, weil es sonst nichts zu tun gab. Dann kam die Nacht – und später sollte Brian sich daran erinnern, worüber sie gesprochen hatten: über die fehlende Spannung. Und er wünschte sich, Derek hätte das nie gesagt.

10
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    Brian erwachte. Im ersten Moment wusste er nicht, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Das Feuer war gut abgedeckt, die Glut würde bis zum Morgen vorhalten. Sie war heiß und rot und Rauch kräuselte sich empor. Es gab keine Insekten, die Nacht war nicht allzu kalt und Tiere schlichen auch nicht umher. Brian konnte nichts Ungewöhnliches feststellen und so schloss er die Augen, um wieder einzuschlafen. Und dann hörte er es.
    Ein fernes Donnergrollen. Nicht sehr laut, eher leise polternd. Er roch Regen in der Luft, aber das war kein Problem. Wind und Regen kamen aus Nord-Nordwest, und in dieser Richtung war der Lagerplatz durch den Hügel geschützt. Unter dem Überhang am Fuß der süd lichen Hügelflanke konnte der Regen ihnen nichts anha ben. Es hatte schon ein bisschen geregnet in der Nacht, aber kein Tropfen hatte den Lagerplatz erreicht. Und wenn der Sturm über die Mulde am Fuß des Hügels fegte, saßen sie immer noch im Trockenen.
    Brian legte noch Holz auf das Feuer, damit es nicht ausging, und warf eine Handvoll grüner Blätter darauf, um Rauch zu erzeugen, der die Moskitos fernhielt. Als er sah, dass Derek noch schlief, streckte er sich wieder auf sein Lager.
    Vielleicht würde das Unwetter an ihnen vorbeiziehen. Er erinnerte sich an den Tornado, der ihn damals über fallen hatte, und beschloss, dass es keinen Grund gab, sich Sorgen zu machen. Die Chance, zweimal hinterein ander von der entfesselten Wut eines Tornados getroffen zu werden, war sehr gering. Und wie die Dinge lagen, konnten sie ohnehin nichts anderes tun als hoffen, dass das Unwetter sie verschonte. Er erinnerte sich an das Geräusch, das der Tornado gemacht hatte, dieses wilde Brüllen, und an die Windstöße, die ihm vorausgegan gen waren. Diesmal aber war die Luft still. Ein Sommer gewitter mit fernem Donner – kein Grund also, sich Sorgen zu machen oder gar wach zu bleiben. Also schloss Brian die Augen und sank in einen leichten Schlummer.
     
    Bilder kamen und gingen. Er träumte, dass er mit Derek sprach, und im Traum sagte er ihm, sie sollten das Funk gerät einschalten und das Flugzeug rufen und auf den Rest des Abenteuers

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