Der Fluss
mitzuzählen, doch es gelang ihm nicht, mithilfe der Armbanduhr die Pulsfrequenz auszurechnen. Sein Kopf war noch immer benebelt …
Nachdenken.
Der Blitz hatte eingeschlagen, hatte den Baum und Derek und ihn getroffen. Und beide waren sie ohnmäch tig zu Boden gegangen. Das war’s wohl.
Derek war immer noch ohnmächtig – aber einmal musste er zu sich kommen.
Doch Brian wusste irgendwie, dass das nicht stimmte.
Dereks Aussehen verriet, dass es mehr war als eine Ohnmacht. Trotzdem klammerte sich Brian an diesen einen Gedanken: Nur eine Ohnmacht, die vorübergehen würde … Derek atmete gleichmäßig. Kurze, aber gleich mäßige Atemzüge. Sein Herz schlug regelmäßig. Er war nur ohnmächtig
.
Brian würde den Mann in eine bequemere Lage brin gen – und dann bei ihm bleiben und warten.
Er würde warten.
12
12
Den Rest des Tages und die ganze Nacht hindurch kniete Brian neben Derek.
Und wartete.
Er ging nur fort, um Wasser zu trinken und ein paar Beeren zu essen. Die übrige Zeit blieb er bei Derek, kniete an seinem Lager und warf dann und wann ein Stück Holz auf das Feuer, damit es nicht ausging. Er war tete.
Und wartete.
Er wusste ,
dass Derek nicht nur bewusstlos war; wusste, dass seine Verletzung schwerer war. Und doch wusste er nicht, was er tun sollte. Oder ob er überhaupt etwas tun konnte.
Das Funkgerät war kaputt. Sie hatten vereinbart, sich jede Woche einmal über Funk zu melden – so ungefähr. Genaue Termine waren nicht vereinbart. Und natürlich, dass sie sich in einem Notfall melden würden.
Erst gestern Nachmittag hatte Derek den Funkspruch für diese Woche abgesetzt. Darum würde man sich in der Zentrale nicht wundern, wenn vorläufig keine Meldun gen mehr kamen. Im Büro der Fluglinie hatten sie gesagt, sie würden ihr Funkgerät rund um die Uhr auf Empfang schalten. Aber es wäre natürlich nicht immer besetzt: darum hätte Brian, auch wenn er ein Funkgerät gehabt hätte, nicht jederzeit jemanden erreichen können.
Natürlich hätte er ein anderes Flugzeug anfunken und einen Notfall melden können.
Wenn er ein Funkgerät gehabt hätte.
Er konnte also nicht um Hilfe rufen. Und niemand würde sich Sorgen machen, wenn Derek sich eine Woche lang nicht meldete. Also saßen sie fest.
Derek war hilflos; er war bewusstlos.
Er lag im Koma .
Da war es heraus, das Wort. Brian hatte sich erst vor dem Wort tot gefürchtet, und jetzt machte dieses Wort ihm Angst: Koma . Er musste etwas tun gegen seine Furcht. Er musste den Dingen ins Auge sehen, wie sie waren. Medizinisch hatte er keine Ahnung: Was mit Leuten passierte, die unter Schockwirkung standen, wusste er nicht und über ein Koma wusste er schon gar nichts.
Im Fernsehen gab es Filme von Leuten, die Monate oder Jahre im Koma lagen und dann plötzlich erwachten und staunten, wie lange sie geschlafen hatten …
Am Abend, immer noch an Dereks Bett, versuchte Brian, ihn mit schierer Willenskraft wachzurütteln. Wach auf, dachte er, und frage mich, wie lang du geschlafen hast. Jetzt, wach auf. Wir werden lachen und darüber reden, wie knapp wir dem Blitz entkommen sind.
Aber es klappte nicht. Derek erwachte nicht aus dem Koma. Er machte auch sonst keine Bewegung. Irgend wann, kurz bevor die Dämmerung ihren ersten fahlen Lichtschimmer über den Himmel schickte und das öst liche Ufer des Sees sichtbar machte, musste Brian es end lich akzeptieren.
Derek lag im Koma, und es sah nicht so aus, als würde er bald erwachen.
Brian war allein, und er trug alle Verantwortung. Ei nen Moment spürte er Wut und Hass in sich aufsteigen.
Die Wildnis.
Diese verdammte Wildnis.
Damals wäre er beinah gestorben. Es war nur Glück, dass er am Leben geblieben war. Und jetzt das! Schon wieder! Es bedrückte ihn, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Immerhin hatte Derek den Fehler gemacht, aufzu stehen und die Hand nach dem Funkgerät auszustre cken. Er hätte am Boden liegen bleiben sollen …
Hörst du mich? dachte er. Wenn wir miteinander sprechen könnten, würde ich dir Vorwürfe machen.
Wie dumm. Derek wird vom Blitz getroffen und ich benehme mich, als wäre ich der Getroffene.
So sinnierte er vor sich hin.
Derek lag also im Koma. Aber was war ein Koma – me dizinisch betrachtet? Jedenfalls schien er nicht von selbst daraus zu erwachen.
Das Funkgerät war kaputt und Brian konnte keine Hilfe rufen. Also, was nun?
Nach einer Woche erst würde der Pilot kommen, um nach ihnen zu suchen. Vielleicht erst nach zehn Tagen. Konnte Derek
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